Wir

Warum wir uns KoAiDojo nennen:

Für mich war die Suche nach einem Namen für unser Dojo keine leichte Aufgabe. Im Namen sollten sich die elementaren Grundlagen wiederfinden, die meinem Verständnis von den Inhalten, die ich vermitteln will, widerspiegeln.

So verbinden die beiden Begriffe Ko (Luft, Atem) und Ai (Liebe, Harmonie) wesentliche Punkte dieses Verständnisses.

Zum einen ist die Umgebung, in der wir hier oben im Norden leben, unmittelbar verbunden mit dem Wind als ständig präsentes Element. Der Wind bewegt die Luft, ist zwar fühlbar, aber nicht sichtbar. Er durchweht alles und ist somit auch ein Symbol für die Durchlässigkeit. Ebenso ist unser Atmen ohne Luft nicht möglich. Das Atmen erfüllt uns mit Energie und durchflutet unseren Organismus. Auch hier ist das Füllen mit etwas nicht Sichtbarem, scheinbar nicht organischem ein Sinnbild für das Weglassen, das Leerwerden. Also eines der unabdingbaren Voraussetzungen, um Offenheit und Unabhängigkeit des Daseins zu erlangen.

Ai ist das was unserem gesamten Tun zugrunde liegen sollte. Es sollte die Grundlage für unser Zusammenleben sein. Liebe ist die große positive Kraft im Universum und sie trägt uns alle zu allen Zeiten. Sie gilt es zu entdecken. Sie zu finden, bedeutet ein großes Glück. Gerade Budo bietet jedem die großartige Möglichkeit bei intensivem Training dies zu schaffen.

So verbinden diese beiden Begriffe die entscheidenden Elemente meiner Auffassung in der grundsätzlichen Aufgabe unseres Trainings.

Duncan Underwood

 

Unser Sensei ist Duncan Underwood

Seit 1997 leitet Duncan Underwood (Soke Dairi, 6.Dan Aikikai Honbu-Dojo. 5.Dan Daitoryu Aiki Jujutsu Bokuyokan, Chuden Shinki Toho) die Aikido-Gruppe im TSV Oldenswort – im Herzen Eiderstedts hat sich die fernöstliche Kampfsportart also schon etabliert. Duncan Underwood ist Vorsitzender unseres Aikidoverbandes und offizieller Vertreter gegenüber dem Hombu Dojo.

Das sind seine Stationen:

1981-1983 Aikikai Münster

1983-1985 Aikido-Zen Institut Gerd Walter

1985-1989 Aikikai Köln im Dojo Hans Jürgen Klages

(Alles unter Leitung von Asai Sensei)

1989 Eintritt ins Shinki-Rengo-Aikido unter der Leitung von Daishiro Nakajima Sensei

1989-1996 Shinki-Dojo Oberkessach

1997 bis heute Leitung der Aikido-Gruppe und der Shinki Toho Schwertschule in Oldenswort

Mai 2023: Ernennung zum Soke Dairi

Wir gehören dem Shinki-Rengo an unter der Leitung von Daishiro Nakajima Sensei.

Unsere Dan-Graduierungen werden vom Honbu Dojo ausgestellt.

Die Kyu-Grade werden verbandsintern vergeben.

Unser Trainer für die Kurzen

Frank Jochimsen (1. Kyu) leitet das Kindertraining (für Kinder ab 6 Jahre). Trainiert wird jeden Mittwoch von 18:00 Uhr bis 19:15 Uhr. Aikido für Kinder unterstützt das natürliche Bewegungsbedürfnis, die Techniken stehen noch nicht im Vordergrund. Die Kinder verlieren ihre Angst vor dem Fallen und lernen Bewegungsformen und Koordination. Durch den ganzheitlichen Ansatz des Aikido werden neben den motorischen Fähigkeiten auch Konzentration und Aufmerksamkeit trainiert.

Das Aikido-Training funktioniert bei Kindern genauso wie bei den Erwachsenen nur mit Respekt, Vertrauen und Disziplin. Auch diese Fähigkeiten werden im Training gefördert. Der Blick für die eigene Wahrnehmung wird geschult und das soziale Miteinander trainiert.

Kinder (und ihre Eltern) dürfen gerne einmal vorbeikommen, selber schauen und auch gleich mitmachen; sie sind jederzeit willkommen.

Für Rückfragen steht Frank Jochimsen unter der Telefonnummer 04861 5090 zur Verfügung.

Brief an Carin *24.03.1965 +21.05.2021

Liebe Carin,

wir sind einen gemeinsamen langen Weg gegangen. Du warst vor 24 Jahren schon bei meiner ersten Aufführung in Tönning dabei. Ich kam damals mit dem 3. Dan nach Nordfriesland und Du bist jetzt mit dem 3. Dan von uns gegangen.

Viel zu früh! Viel zu plötzlich, ohne Vorboten und somit auch ohne die Möglichkeit sich von Dir zu verabschieden.

Es bleibt einem nichts anderes übrig als fassungslos davor zu stehen und das Unbegreifliche irgendwie begreiflich werden zu lassen. Du hast eine schmerzliche Lücke hinterlassen, die für lange Zeit sehr spürbar sein wird. Die Gemeinschaft innerhalb der Gruppe muss auf neue, andere Füße gestellt werden. Das ist für alle eine Aufgabe, die im Bewusstsein Deines nicht mehr Daseins eine Herausforderung sein wird.

Natürlich werden wir das schaffen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Du das anders gewollt hättest! Ganz im Gegenteil, ein nicht mehr Weitermachen wäre für Dich überhaupt nicht in Frage gekommen.

Von Anfang an hast Du mit ganzem Herzen das Aikido geliebt. Es hat Dir neue Möglichkeiten eröffnet, ich glaube auch Dein Leben ein ganzes Stück verändert. Es hat Dir Kraft und Halt gegeben, ohne die Du Deine anderen Aufgaben im Leben wahrscheinlich deutlich schlechter hättest bewältigen können. Alles was Du gemacht hast, hast Du mit ganzem Herzen gemacht. Du hast Dich immer voll reingehängt und das manchmal auch über Deine Grenzen hinweg. Manchmal konnte man spüren, dass es Dir nicht so gut ging und dass die Herausforderungen, denen Du Dich stellen musstest, fast zu viel waren. Du konntest Dich aber letztendlich immer auf Deine Familie und Dein Aikido verlassen. Diese beiden Faktoren waren das Bestimmende und auch die beiden großen Herausforderungen in Deinem Leben. Sie haben Dich immer wieder an Grenzen gebracht und gleichzeitig haben sie Dir geholfen eine Lösung für diese Aufgaben zu finden.

Du hast Dich nie über andere erhoben. Du hast allen, die Deine Hilfe gebraucht haben, so viel geben können, dass sie selbst wachsen konnten. Zum Teil sind sie weiter gegangen als Du, aber Dir war es eine Freude das mitanschauen zu dürfen. Du warst eine Förderin und hast auch von all Deinen Schülern:innen viel gefordert. Du hast Dich immer klar und auf eine sehr positive Art und Weise kompromisslos verhalten. Durch diese liebevolle Art hast Du vielen geholfen selbst Fortschritte zu machen und hast Dich hierbei nie in den Vordergrund gestellt. Vielleicht warst Du zum Teil zu bescheiden und hast Dich dadurch selbst ein wenig ausgebremst. Du hast Dich selbst immer hinterfragt und hast manchmal darüber vergessen zu sehen, wie groß Du eigentlich warst.

Liebe Carin, Dich gekannt zu haben und Dich als Schülerin gehabt zu haben war mir eine sehr, sehr große Freude! Deine Entwicklung begleiten zu dürfen, hat mich immer mit viel Dankbarkeit erfüllt. Für einen Lehrer kann es nichts Besseres geben, als zu sehen, wie sein Wissen auf so fruchtbaren Boden fällt.

In den letzten Jahren hattest Du viel mit dem Geschäft und Deiner Familie zu tun, so dass Du nicht immer regelmäßig am Training teilnehmen konntest. Dennoch warst Du für mich eine große Unterstützung, meine rechte Hand. Ohne Dich wäre es in all den Jahren für mich sehr viel schwieriger gewesen das Training und den Fortschritt aller so zu gestalten. Bei allen großen und kleinen Problemen konnte ich mich hundertprozentig auf Dich verlassen. Ich wusste, dass wir gemeinsam über alles sprechen konnten und wir haben immer eine Lösung gefunden, die für das Leben in der Gruppe förderlich war.

Liebe Carin, wir alle werden Dich sehr vermissen. Du wirst immer ein Teil von uns sein und es ist tröstlich zu wissen, dass Du stets dabei sein wirst, wenn auch auf einer anderen Art und Weise.

Wir werden uns in einem anderen Leben wiedersehen! Da wo Du jetzt bist, bist Du sicherlich sehr gut aufgehoben, friedvoll und befreit.

Dein Duncan

Mattengeflüster

An dieser Stelle veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen Interviews mit unserem Sensei Duncan Underwood (DU). Es sind Gedanken zu Hintergründigem und Vordergründigem, Ursprüngen, großen Zusammenhängen und kleinen Details.

Kommentare sind ausdrücklich erwünscht.

Die Interviews führte Nicole Knudsen (NK).

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Erstes Interview: Aikido: Kampfsport oder Kampfkunst?

NK: Duncan, du sprichst bei Aikido oder Budo von Kampfkunst. An anderer Stelle ist aber auch vom Begriff Kampfsport die Rede. Was ist richtig?

DU: Meiner Meinung nach muss man sich anschauen, woher Budo kommt. Der Ursprung lag sicherlich im Kampf, in der kriegerischen Auseinandersetzung der Samurai.

Aber es gab einige dieser Krieger, denen durch diese intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen technischen Möglichkeiten und den Situationen beim Kämpfen klar wurde, dass durch das Weglassen der reinen Körperlichkeit (Kraft, Technik), viel mehr erreicht werden konnte. Das Loslassen des Willens und sich der Intuition preisgeben eröffnete Ihnen die Einsichten in eine umfassendere Sichtweise. Aus der konfrontativen Begegnung wurde die Beschäftigung mit Sinnhaftigkeit des menschlichen Daseins. Somit wurden die Aspekte des Kampfes dazu genutzt, die tieferen Beweggründe der Beziehungen und Begegnungen der Menschen zu ergründen. Aus dem Vernichtungswillen im Kampf wurde das Bewusstsein eines weit größeren Auftrags in der Welt.

NK: „Kunst“ klingt in unserer Sprache eher nach Schöngeistigem und so gar nicht nach Kampf. Ist das Begriffspaar nicht ein Widerspruch in sich?

DU: Kampfkunst steht dem wirklichen Kampf nicht diametral gegenüber. Man kann sich die martialische Auseinandersetzung aus der Kampfkunst nicht wegdenken. Diese Konfrontationen schärfen die Sinne, bilden die Grundlage (wie oben schon gesagt) für das sich öffnen. Schärfe und Weichheit sind eine Einheit und nicht zu trennen. Deswegen muss beides, das Kämpfen und die Ergründung der inneren Prinzipien, geübt werden. Wenn man eines dieser Aspekte, die sich in dem Wort Kampfkunst wiederfinden, abtrennt, hat man Budo nicht verstanden.

NK: Und was ist mit dem Sport?

DU: Sport ist auf siegen und gewinnen aus. Es gibt Regeln, an die sich die Athleten halten müssen – und es gehören auch Techniken und eine gewisse körperliche Fitness dazu. Eine darüber hinausgehende spirituelle Weiterentwicklung ist nicht unbedingt nötig. Natürlich hat Sport auch künstlerische Elemente. Unter Fußballern zum Beispiel gibt es auch Ballkünstler. Aber das ist hier nicht gemeint. Kampfkunst beinhaltet zwar auch diese sportliche Athletik, sie geht jedoch weiter und unterliegt keinem Reglement. Kampfkunst beinhaltet die ganze Größe der Begegnung, ist mehr als das Kämpfen. In der Ganzheit der Begegnung geht es um die Stellung des Menschen in der Welt und dem Zusammenhang zwischen Menschen, Natur und Kosmos, der ganzen dem inne liegenden Spiritualität. Die Menschen, die aus dem kriegerischen Akt und dem reinen Kampfsport eine Kampfkunst machten, hatten alle einen spirituellen Hintergrund oder haben ihn dadurch gefunden. Sie haben tiefe Einsichten über sich und die Welt dabei gewonnen. Kampfkunst ist unmittelbar mit dieser geistigen Beschäftigung verbunden. Früher wie heute.

NK: Kann man sagen, dass Kampfsport den Sieg über den anderen bedeutet, die Kampfkunst dagegen den Sieg über sich selbst?

DU: Das kann man nur bedingt sagen. Denn dann hätte man das Ende schon vorweggenommen und es wäre auch impliziert, dass es ein Ende gibt. Die Kampfkunst gibt einem das Rüstzeug, das kleine ICH (Egoismus, Besitzen wollen, Selbstgefälligkeit etc.) zu besiegen um das Fallenlassen zu ermöglichen. Die Loslösung vom kleinen ICH gelingt nicht, wenn man am Gedanken des Ziels festhält. Der Satz „Der Weg ist das Ziel“ klingt zwar abgedroschen, aber er enthält eine unglaubliche Tiefe und wird sicherlich kaum verstanden. Ich meine damit nicht, dass man dem Ziel gegenüber gleichgültig werden oder alles im Nebulösen lassen soll. Aber die Bilder und Begriffe, die man damit in seinem Kopf auslöst sollen nur die Orientierungspunkte sein und sollten – sobald es geht – weggelassen werden. Es geht vielmehr darum, intuitiv zu sehen, zu lernen. Das ist für uns Europäer im 21. Jahrhundert sehr schwer, unser Ausgangspunkt ist eher das logische rationale Weltbild, deswegen brauchen wir diese Orientierungspunkte. Doch Bilder und auch Worte können in die Irre führen. Darum braucht man Lehrer, die einem den Weg zeigen.

NK: Lieber Duncan, ich danke für das Gespräch. Im zweiten Interview wird es um die Frage gehen, wie sich Budo in den Alltag integrieren lässt.

Zweites Interview: Budo und Alltag

NK: Duncan, du sprichst oft darüber, dass BuDO ein Weg ist, den man nicht nur auf der Tatami geht, sondern der das ganze Leben umfasst. Wie lebst du Budo im Alltag?

DU: Das ist eine leichte und zugleich schwere Frage. Das Budo-Prinzip lässt sich nur bedingt in Worte fassen, aber es lässt sich auf keinen Fall vom Leben als solches trennen. Das Budo-Dasein ist das Deutlichmachen der Prinzipien, wie wir miteinander umgehen in der ganzen Vielfalt des Lebens. Wenn wir an Budo denken, denken wir zuerst an Kampf und Gewinnen, aber das sind nur Nebeneffekte. Das hat sich erst in den letzen rund 150 Jahren herauskristallisiert, seitdem die kriegerische Auseinandersetzung in unserem Alltag keine so große Rolle mehr spielt. Gleichzeitig sind unser Leben und unser Alltag geprägt von kleinen zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen. Das Leben besteht aus Widersprüchen, einem Gegeneinander und einem Miteinander. Budo spiegelt sich darin wider. Wir greifen an und verteidigen uns auch verbal und mit Gesten. Je tiefer man in Budo einsteigt, desto eher erkennt man, dass sich dieses Angreifen und Verteidigen auf allen menschlichen Ebenen abspielt. Das Erlernen von Aikido führt dazu, dass sich diese Konflikte auch außerhalb des Dojos auflösen lassen, wobei auch hier eine große Bandbreite vorhanden ist bis hin zum optimalen harmonischen Beenden des Konflikts.

NK: Wie kann Angriff zu Harmonie führen?

DU: Wenn man den Weg des Budo nicht selber geht, ist es schwer, ihn in Worte zu fassen. Den Umgang mit Aggression macht jeder mit sich selber aus. Den scheinbaren Widerspruch des Kämpfens und Gewinnens im Budo und das Gefühl wie es ist, wenn sich Konflikte in Harmonie auflösen, spürt man erst nach jahrelangem Üben. Insbesondere beim Aikido. Beim Aikido ist diese Veränderung besonders ausgeprägt, weil die angreifende Kraft umgewandelt wird in eine nicht-zerstörerische. In anderen Budo-Sportarten ist dieser Ansatz verkümmert, insbesondere, wenn sie Wettkampforientiert sind. Wettkämpfe werden bestritten, um zu gewinnen, nicht, um die Begegnung umzuwandeln.

NK: Heißt das, dass man durch den konsequenten BuDO lernt, Konflikten oder Konfrontationen im Alltag nicht aus dem Weg zu gehen, sondern diese zu gestalten?

DU: Ja, durch BuDO erfährt man, dass Konflikte viel damit zu tun haben, wie Menschen aufeinander reagieren. Budo ist kein reglementierendes Prinzip, sondern ein Eins-Werden mit und das Spüren des Da-Sein. Man bewegt sich nach jahrelangem Üben auf einer auch im Alltag den reinen Konflikt annehmenden und akzeptierenden Ebene. Man lernt Dinge zuzulassen und dadurch eröffnen sich viel mehr Möglichkeiten. Man erkennt, dass man sich nicht verletzen muss, das ist unnötig geworden. Diese Erkenntnis ermöglicht, Aggression in welcher Form auch immer, anders – entspannter – zu betrachten. Ob man immer eine Lösung findet für den Konflikt, ist eine andere Frage.

NK: Steht einem das „kleine Ich“, die eigene Eitelkeit dabei nicht manchmal im Weg?

DU: Das kann passieren, Budo heißt ja auch den Sieg über das kleine Ich, den eigenen Egoismus, zu erlangen. Wenn man in sich ruht, ist die Eitelkeit nicht mehr vorhanden und kann somit auch nicht mehr gegen einen verwendet werden. Die natürliche Reaktion ist normalerweise erst einmal gekränkt zu sein, wenn das eigene Verhalten nicht gewürdigt wird, man keine Anerkennung bekommt. Doch Verinnerlichen des Loslassens erlaubt es einem, den eigenen Beitrag nicht ganz so wichtig zu nehmen.

NK: Wie würdest du den anderen Weg beschreiben: Nicht Budo im Alltag zu leben sondern den Alltag mit auf die Tatami zu nehmen?

DU: Zwischen Alltag und Tatami gibt es für mich keinen Unterschied. Das Da-Sein ist immer das gleiche, es braucht kein Umschalten zu geben. Das Menschsein außerhalb und auf der Matte unterscheidet sich nicht. Das Fallenlassen findet immer statt und ist nicht daran gebunden zu trainieren. So entwickelt es sich auf jeden Fall im Laufe der Jahre. Bzw. man bekommt die Möglichkeit sich dahin zu entwickeln.

Durch Budo habe ich immer eine grundsätzliche Freude in mir drin und habe die Kraft bekommen, Freude auch in schwierigen Situationen zu entdecken. Es gibt immer verschiedene Aspekte, gewisse Reaktionen, viele kleine Dinge, die ich spüren kann und die die Schwere der Situation leichter machen. Natürlich gibt es auch durch und durch leidvolle Situationen, aber die Grundeinstellung zum Leben ist eher Freude.

NK: Gehört das zu dem Budo-Prinzip? Was bedeutet es für dich?

DU: Wenn man BuDO immer weiter geht, erfährt man, dass alle Dinge eins sind und man auch immer der gleiche ist. Natürlich ist es leichter, wenn man an einem schönen Strand spazieren geht als im stressigen Alltag. Doch das Prinzip bleibt immer das gleiche.

Dieses Prinzip erlernt man, in dem man erst einmal, vielleicht Jahre, die BuDO-Techniken lernt, man muss üben und üben und das nachmachen, was der Lehrer zeigt. Dann werden die Techniken in ihrem Ablauf selbstverständlich und man kann sie und sich weiter entwickeln. Das ist das Geheimnis. Man muss erst die äußere Form lernen, bevor die innere sichtbar werden kann. Wenn die Form selbstverständlich geworden ist, eröffnen sich viele Möglichkeiten gerade für den inneren Weg. Auch im Alltag. Oder gerade dort. Dann erkennt man, dass die Begegnung mit einem Menschen mehr ist als ein äußerer Ablauf. Dann erfährt man die Kraft von Weich und Scharf in diesem Bindungsgefüge. Diesem auf den Grund zu gehen – das ist BuDO.

NK: Lieber Duncan, ich danke dir für das Gespräch.

Drittes Interview: Rituale im Budo
Rituale, Bräuche, Zeremonien: sie begleiten und formen nicht nur religiöse oder spirituelle Handlungen, sondern auch mehr oder weniger sichtbar unseren Alltag. Budo ist vielleicht mehr als andere Sportarten ebenfalls geprägt von zahlreichen Riten. Grund genug, sich dem Thema in unserem dritten Interview zu nähern.

NK: Duncan, Rituale im Budo sind vielschichtig. Es fängt beim Anziehen des Gi oder des Hakama an und endet bei dem Verbeugen, wenn man das Dojo verlässt. Ist das nur eine schöne Geste oder steckt mehr dahinter?

DU: Rituale sind gerade im Budo essentiell. Ohne Riten finden bestimmte Dinge gar nicht statt. Sie sind auch deswegen wichtig, weil sie was mit Verlässlichkeit zu tun haben. Sie geben einem die Möglichkeit, sich auf wesentliche Dinge zu konzentrieren. Wenn Abläufe für alle gleich fest definiert sind, muss man sich nicht auf die Modalitäten im Umgang mit Menschen besinnen.

Insbesondere im BuDO sind sie wichtig, weil ein innerer Weg (DO) beschritten werden soll. Das braucht unsere ganze Hinwendung. Rituale sind zwar Äußerlichkeiten, aber sie helfen, dass wir andere Äußerlichkeiten außer Acht lassen können. Durch diese Äußerlichkeiten machen Rituale zwar die Rahmenbedingungen gleich, aber nicht die Inhalte, das DO. Bewegt man sich zu sehr außerhalb des Rahmens, gehört man nicht dazu, bricht mit dem vereinbarten Umgang.

NK: Verleiten Rituale nicht auch dazu, sich blind Prozessen und Abläufen hinzugeben?

DU: Ritualen soll man nicht kritiklos folgen, ohne sie zu hinterfragen. Das ist ein schmaler Weg, denn auf der anderen Seite muss man auf den Meister hören und ihm vertrauen. Schließlich sucht man sich den Lehrer, dem man vertraut. Dann kann man sich auch auf die von ihm gelehrten und angewandten Rituale verlassen. Wenn Rituale nur dazu dienen sich selbst zu dienen, dann taugen sie nicht. Wenn sie nur dazu dienen, Hierarchien zu festigen oder Glaubensgrundsätze auszuweiten, sind sie sogar schädlich. Das habe ich selber erlebt, dass Menschen Rituale oder künstliche Prozesse nur dazu benutzt haben, um ihre Machtstrukturen zu bewahren.

Das ist nicht mein Verständnis von Budo. Hier sollen Rituale festlegen, wie die Begegnung auf der Matte zu sein hat, sie folgen einer gewissen Ethik, dann dienen sie auch dem inneren Fortschritt. Riten sind nur eine Grundbedingung. Was man daraus macht, ist individuell. Man kann sagen: „ich mach das, halte mich an Rituale als Rahmenbedingung und habe damit eine Möglichkeit geschaffen, DO für mich zu finden und zu gehen“.

NK: Einige Rituale haben wir schon angesprochen: Sich den Gi oder Hakama anziehen, sich verneigen, wenn man das Dojo betritt oder verlässt. Gibt es welche, die dir besonders wichtig sind?

DU: In ihrer Gesamtheit sind sie als Summe alle bedeutsam. Einen besonderen Stellenwert hat die Achtung dem anderen gegenüber und das respektvolle Benehmen. Dazu gehört, dass man sauber auf die Matte geht, sich im Rahmen der Etikette bewegt. Ein Dojo ist auch ein Ort der inneren Hinwendung, nicht nur der körperlichen Übung. Dem muss man sich anpassen, darauf muss man sich einlassen. Bereits das Betreten des Dojo ist Hinwendung zum inneren Weg. Dazu gehört die vorgegebene Achtung, zum Beispiel das Verbeugen.

NK: Kann man die Rituale im Budo auf den Alltag übertragen?

DU: Ja sicher, besonders die Achtung voreinander. Durch das Äußere wird das Innere geprägt und umgekehrt. Auch im Alltag ist es wichtig eine Atmosphäre zu schaffen, in der Hingabe möglich ist. Hier wie dort – auf der Matte und im Alltag – muss innere Kreativität möglich sein als eine Art künstlerischer Akt. Alles ist DO, ist Weg. Wenn diese Einsicht auch den Alltag prägt, wird alles Tun und Denken in Hingabe immer mehr zu einer Einheit. Ein ganzes Leben in Hingabe und Achtsamkeit ist das Ziel. Hierbei spielen Rituale eine große Rolle. Sie helfen, sich selber zurückzunehmen und aufnehmen zu können. Auf der Matte drückt sich das zum Beispiel aus durch das Ruhig sein, das Akzeptieren, das Verbeugen, es gibt keine Diskussionen.

NK: Budo kommt ursprünglich aus Asien. Ein Erdteil mit einer ganz anderen Geschichte, einer völlig anderen Kultur und einem anderen Kontext. Lassen sich denn die dort entwickelten Rituale einfach auf Europa übertragen? Haben Rituale in Japan eine andere Bedeutung als in Deutschland?

DU: Ja sicher, in Japan ist das Training viel reglementierter und strenger, weil die ganze Gesellschaft so aufgebaut ist. Der japanische Gesellschaftsentwurf ist ritualisiert und stark hierarchisch. So sind sich die gesellschaftliche Struktur und die Budo-Riten sehr viel ähnlicher als bei uns. In Japan dienen die Rituale auch im Alltag dazu, das „kleine Ich“ wegzulassen, Eitelkeiten sollen zerbrochen werden, viel radikaler als bei uns.

Auch ist das Lehrer-Schüler-Verhältnis viel ausgeprägter und fordernder. Natürlich kann das auch gefährlich sein, weil es autoritäre Strukturen fördert. Es ist eine Gratwanderung, die man immer wieder reflektieren muss. Dafür gibt es keine Blaupause.

Doch auch bei uns ist der äußere Rahmen im Dojo hierarchisch. Ohne Achtung dem Lehrer gegenüber funktioniert Budo auch hier nicht. Generell geben Riten die Ordnung vor, das ist essentiell. Schließlich ist das, was wir auf der Matte machen, auch gefährlich, die Verletzungsgefahr ist groß. Riten und Absprachen schaffen sichere Trainingsbedingungen.

NK: Haben Rituale eine unterschiedliche Bedeutung für Lehrer oder Schüler?

DU: Nur zum Teil. Beim Schwertkampf wird es deutlich, weil sich da der Schüler äußerlich tiefer verbeugt als der Lehrer. Beim Aikido soll sich der Schüler innerlich tiefer verbeugen. Doch gleich bleibt der gegenseitige Respekt. Vielleicht haben Rituale für Lehrer eine andere Aufgabe, weil der Lehrer eine andere Aufgabe hat. Seine Aufgabe ist die Großherzigkeit und das liebende Aufnehmen aller Schüler mit all ihrem Können und ihren Schwächen und die Förderung jedes Einzelnen. Das ist eine große Verantwortung. Dafür ist vielleicht der innere Gleichmut für den Lehrer wichtiger. Doch auch er verbeugt sich vor Kamiza und wird gewahr, dass er nicht der Höchste ist, nicht über allem steht. Deswegen ist das Verbeugen so wichtig. Als Sinnbild für Respekt und Demut.

NK: Eine letzte Frage: Kann es Budo auch ohne Rituale geben?

DU: Nein!

NK: Lieber Duncan, ich danke dir für das Gespräch.

Viertes Interview: Shinkiryu Aiki Budo
Shinki-Budo setzt sich aus drei Bereichen zusammen: Aikido Shinki Rengo, Daitoryu Aiki Jujutsu, Itto-den Shinki Toho. Wie gehören sie zusammen und muss man sie alle regelmäßig üben? Was ist gleich bei allen und was sind die Unterschiede? Dazu nimmt Sensei Duncan Underwood (6.Dan Aikikai Honbu-Dojo. 4.Dan Daitoryu Aiki Jujutsu Bokuyokan) in unserem vierten Interview Stellung.

NK: Lieber Duncan, Aikido, Daitoryu oder auch Schwert: wie ist Nakajima Sensei dazu gekommen, diese drei Kampfkünste im Shinkiryu Aiki Budo zu vereinen?

DU: Aikido hat das Ziel, mit harmonischen und fließenden Bewegungen einem Angriff zu begegnen. Bei Daitoryu ist das Ziel, einen Angriff von vornherein zu blockieren. Der Schwertkampf ist mit seiner Präzision und Schärfe einer der historischen Ursprünge des Begriffes Budo. Nakajima Senseis Vision war es, diese Aspekte zusammenzuführen. Das war sein Motiv, um alle inneren und äußeren Aspekte des Budos weiter zu entwickeln – eine bewundernswerte Leistung.

NK: Gibt es eine zeitliche oder historische Einordnung?

DU: Alle drei Kampfkünste hat es ja vorher schon gegeben, auch wenn wir im Shinki Rengo früher nur Aikido geübt haben. Ursprünglich hat sich Aikido aus dem Daitoryu entwickelt. Vor rund 30 Jahren hat Nakajima Sensei dann das klassische Aikido-Training um Daitoryu-Elemente erweitert. Die Techniken sind ja teilweise gleich, nur die Durchführung ist anders – sie fühlen sich anders an. Beim Daitoryu ist die Schärfe unmittelbar da, beim Aikido entwickelt sie sich durch dynamische Kreisbewegungen, doch die Grundlage bei beiden ist die Beibehaltung der Mitte. Einige Jahre später kam das Schwerttraining dazu. Nakajima Sensei hatte nach einer grundlegenden Schwertrichtung gesucht, die hat er im Ono-Ha Ittō-Ryū gefunden und nachdem er sich noch andere Ittō-Ryū-Schulen angeschaut hatte, kam es zur Gründung von Ittoden Shinki Toho

Bezeichnender Weise ist das Honbu-Dojo des Ono-Ha Ittō-Ryū in Tokyo eine christliche Kirche. Daran erkennt man den anderen Stellenwert des Budo in der japanischen Gesellschaft. Die inneren Grundlagen des Budo haben dort eine ausgeprägte spirituelle Grundlage.

Daitoryu und Schwert gab es also vorher schon, die Aspekte der drei eigenständigen Budo-Arten sollten den Schülern zu Bewusstsein gebracht werden.

NK: Alle drei Kampfkünste sind also für sich eigenständig im Budo tief verwurzelt. Das ist bei allen gleich. Aber welche Aspekte sind unterschiedlich?

DU: Aikido ist eine weiter entwickelte Form des Daitoryu, der vernichtende Aspekt steht nicht so im Vordergrund wie bei Daitoryu. Beim Schwert sind die Begegnungen sichtbar scharf. Die Schwierigkeit beim Schwert ist es, dass die Schärfe schnell ausartet in Grobheit und nicht beachtet wird, dass letztendlich die Gesamthaltung die bestimmende Haltung ist. Es tritt immer der ganze Mensch in die Begegnung ein. Beim Schwert gilt auch das sofortige Beenden der Begegnung, insofern ist es dem Daitoryu vielleicht näher.

NK: Durch die fließenden Bewegungen wirkt Aikido oftmals weicher als Daitoryu…

DU: Aikido ist nicht weicher, nur die Eingangsphasen sind bei Aikido und Daitoryu unterschiedlich. Beim Aikido ist diese länger, aber nicht weniger eindeutig. Daitoryu lebt vom direkteren Eintreten, hat dadurch einen schärferen „Geschmack“, wirkt „martialischer“. Durch das sofortige Beenden des Angriffs hat der Angreifer keine Zeit darüber nachzudenken, dass er verloren hat. Aikido gibt dem anderen mehr Zeit. Auch beim Aikido ist das erste Eintreten der wichtigste Schritt, um die Kontrolle über die Situation zu bekommen. Es gibt dem Angreifer aber doch mehr Raum. Dadurch wirkt Aikido vielleicht dynamischer oder auch liebevoller. Das Wort Liebe ist vielleicht nicht ganz passend, wenn man sich in einer Kampfsituation befindet. Vielleicht ist „freundlicher“ oder „harmonischer“ das bessere Wort. Doch lebt Aikido nicht nur durch weiches Aufnehmen. Ohne Schärfe oder Konsequenz der Bewegung würde Aikido seinen Charakter verlieren, die Klarheit ginge verloren und das, was von innen wachsen soll, würde abgedämpft. Egal, ob sofortiges Blocken des Angriffs oder ein Aufnehmen der Bewegung: Aikido und Daitoryu haben beide vereinigende Aspekte, man muss mit dem Angriff verschmelzen.

NK: Muss man denn nun alles lernen oder kann man sich innerhalb von Shinki auf eine Kampfkunst konzentrieren?

DU: Dem einen liegt Aikido mehr, dem anderen eher Daitoryu, noch andere lernen lieber nur Schwert, was halt eher der eigenen Persönlichkeit entspricht. Dem einen liegt das Direkte mehr, dem anderen mehr das Verzögerte. Das Schwert als Gegenstand in der Hand fördert und fordert mehr Strenge und Aufmerksamkeit.

Doch: Auch wenn einer der drei Kampfkünste vielleicht nicht auf Anhieb der eigenen Persönlichkeit entspricht, man sie aber trotzdem alle drei übt, erkennt man nach einiger Zeit auch die Bedeutungen der anderen eher. Wenn man zum Beispiel Maler ist und dann Bildhauer wird, wird das Bildhauen das spätere Malen beeinflussen. So ist es auch mit den Budo-Künsten. Alle drei haben Einfluss auf die persönliche Entwicklung. Aber man kann auch nur das Eine oder Andere trainieren. Das kommt darauf an, worauf man den ursprünglichen Wert legt: Technik oder Kampfwirksamkeit. Mit Technik meine ich, nur die technische Seite zu lernen, bei Kampfwirksamkeit meine ich, nur die Effektivität raus zu filtern. Wenn man allerdings die Gesamtheit entwickeln möchte ist es egal, was man macht, sie alle dienen der eigenen Weiterentwicklung. Es gibt dabei keine Reihenfolge.

NK: Hast du eine persönliche Vorliebe?

DU: Ich lege mehr Schwerpunkt auf Aikido. Meine Gründe dafür habe ich bereits ausführlicher in der Shinki News Nummer 10 erklärt. Grundsätzlich aber gäbe es kein Aikido ohne Schwert oder Daitoryu. Alles andere ist Beiwerk.

NK: Lieber Duncan, ich danke dir für das Gespräch.

Fünftes Interview: Wu Wei
NK: In der Literatur wird Wu Wei oft übersetzt mit „Handeln durch Nicht-Handeln“ oder „tätiges Nicht-Handeln“. Wie würdest du den Begriff übersetzen?

DU: Für Wu Wei gibt es viele Übersetzungen, ich kenne sie nicht alle. Es ist ein Begriff, auf den sich vieles zurückführen lässt und jeder kann sich darauf einlassen und sein eigenes Bild machen. Ich selber benutze den Begriff eigentlich nicht. Denn es kommt auf die innere Einstellung an, die man seiner Wahrnehmung zu Grunde legt. Über viele dieser asiatischen Begriffe mit großem geschichtlichen Hintergrund kann man diskutieren – und sich verzetteln. Man kann mit Begriffen jonglieren und sein Wissen zeigen. Nur darf man sich nicht hinter seinem Wissen verstecken und damit den Weg, den man eigentlich gehen will, zuschütten. Das Wesentliche ist, das man nicht anhaftet, loslässt, sich selbst nicht in den Mittelpunkt stellt. Man soll sich nicht binden, um sich selbst oder der eigenen Erkenntnis im Weg zu stehen. Jeder muss diesen Weg der Erkenntnis erfahren – das ist das Entscheidende. Die asiatische Kultur ist für Europäer nicht immer einfach zu verstehen, die Art und Weise zu denken ist uns oft fremd, der philosophische Weg ist ein anderer und manchmal schwer einzuordnen; es ist eine ganz eigene Welt, aus der Begriffe wie Wu Wei entstanden. Doch alle diese Bezeichnungen bedeuten letztendlich, nicht irgendetwas hinterherzuhängen – auch nicht Worten.

NK: Wu Wei kommt ursprünglich aus dem Daoismus. Was hat das mit Aikido zu tun?

DU: Das Nicht-Handeln begegnet einem überall im Aikido. Es ist schwer zu verstehen, wenn man Nicht-Handeln mit Passivität gleichsetzt. Es ist eher die Freiheit zu tun, was man möchte. Handeln aus dem Jetzt heraus, ohne Barrieren. Das gelingt nur mit einer tieferen Erkenntnis des Ganzen. Übertragen auf Aikido bedeutet das: wenn man mehr erreichen möchte als Techniken und Fertigkeiten muss man zulassen, dass etwas passiert und Spontanität entstehen kann. Wenn wir Barrieren oder Mauern in uns haben können wir die Begegnung nicht so entstehen lassen und uns nicht darauf einlassen, was uns angeboten wird. Aikido ist die Freiheit der Technik.

NK: Wo findet Wu Wei im Training statt? Was trainieren wir, wenn wir Wu Wei trainieren? Kann man Wu Wei überhaupt trainieren?

DU: Man kann Nicht-Handeln eigentlich nur zeigen. Doch der Schüler muss es auch sehen wollen. Nur wenn jemand bereit ist wirklich anzugreifen zum Beispiel, kann eine Antwort darauf Leere sein und eine Auflösung der Gewalt. Das bloße Konfrontative darf nicht zur Beherrschung führen. Handeln, ohne beherrschen zu wollen – das kann man schwer erklären. Zen-Meister sagen „Zeigende Wirklichkeit“. Es ist die essentielle Grundlage im Budo.

NK: Was bedeutet Wu Wei für den Uke?

DU: Für Uke ist es wichtig, dass er richtig und ernsthaft angreift, dann ist es leichter, auf den Angriff zu reagieren und ihm Nichts entgegenzustellen. Der Angreifer hat ja ein Prinzip des Handelns; ein wirklicher Angriff passiert intuitiv. Im Moment des Angriffs oder zum Beginn des Handelns wird ein guter Angreifer absichtslos. Er möchte nur eintreten. Die Schwierigkeit beim Training ist das völlige Loslassen beim Angriff, weil man ja eigentlich weiß, was kommt. Der große Vorteil dabei ist, dass es im Prinzip jeder machen kann ohne Voraussetzungen mitbringen zu müssen. Ist man zu sehr im philosophischen Hintergrund verhaftet, hat man unter Umständen ein größeres Problem sich der Spontanität hinzugeben.

NK: Ist Wu Wei auch wichtig für das Schwerttraining? Bedeutet es beim Schwerttraining das gleiche wie beim Aikido?

DU: Vom Grundsatz her ja, vom Geschmack her nein. Einen Gegenstand in der Hand zu haben bedeutet eine andere Voraussetzung, neue Barrieren, man muss sich selber neu sortieren und zum Beispiel die Abstände neu lernen, also das äußere Gefühl. Es ist ja auch gefährlicher – man muss sich von der Angst erst lösen. Es fühlt sich also anders an, gleichzeitig ist aber das innere Prinzip das gleiche. Die Kumi Dachi kann man auch mit alleiniger technischer Perfektion gut ausführen, aber dann fehlt die innere Lebendigkeit. Beim Schwert rückt die Technik schnell in den Vordergrund, man kann sich eher in die Technik „zurückziehen“. Aber: Beim Schwert wie auch beim Aikido muss man loslassen, eintreten und die Begegnung im Ganzen suchen. Die Waffe darf kein Vorwand sein, um auf die innere Begegnung zu verzichten. Das macht es vielleicht schwieriger als beim Aikido.

NK: Und außerhalb der Tatami: Was bedeutet Wu Wei im Beruf oder Alltag?

DU: Das Thema Budo im Alltag hatten wir ja schon mal im zweiten Interview. Wenn man Budo ausübt, einschließlich aller Prinzipien wie auch dem Nicht-Handeln, macht man das ja nicht nur in einem bestimmten Setting. Es ist ja nichts, was nur auf der Tatami passiert und nach dem Duschen ist alles vorbei. Es geht um die Gestaltung zwischenmenschlicher Begegnungen. Die haben zwar im Alltag andere Voraussetzungen, doch inhaltlich sind sie immer gleich, egal, wann und wo sie stattfinden. Im Budo trainieren wir ja automatisch auch wie Alltagsprobleme so gelöst werden können, dass man selber dabei frei bleibt. Es ist ein großer Anspruch. Doch wenn ich nicht hehren Glaubensgrundsätzen anhänge und sie von mir selber erwarte, wenn ich alles weglassen kann, habe ich mehr Möglichkeiten zu reagieren. Wu Wei ist also kein äußerer Prozess der Gestaltung einer Begegnung, sondern ein innerer Weg.

Lieber Duncan, ich danke für das Interview.

Sechstes Interview: Prüfungen

Gürtel-Prüfungen sind im Budo Standard, auch bei uns im KoAiDojo werden regelmäßig Kyu-Prüfungen abgehalten. Über Prüfungen allgemein und deren tieferen Sinn sprach Nicole Knudsen (NK) mit Sensei Duncan Underwood (DU).

NK: Seit wann gibt es Prüfungen im Aikido?

DU: Früher gab es keine Prüfungen. Man war als Samurai entweder tot oder man hat überlebt und wer überlebt hat war gut, hatte die meisten Schüler und sein Wissen an diese weitergegeben. Auch O Sensei hat nie Prüfungen gemacht und die DAN-Grade wurden damals alle verliehen. Doch es ist ein Bedürfnis des Menschen, Vokabeln zu haben und sie in eine Grammatik einzufügen. Kisshōmaru Ueshiba (Anmerkung: * 27. Juni 1921, † 4. Januar 1999), O Sensei´s Sohn, hat die Techniken erstmals benannt und katalogisiert. Als Stütze, weil immer mehr Menschen damals Aikido gemacht haben, auch außerhalb des Dojos. Die Benennung und Einordnung sollte gewährleisten, dass sie alle mit einem gleichen Standard lernen können, dass das Wissen erhalten bleibt und weitergegeben werden kann. Prüfungen gehörten dann zur Standardisierung.

NK: Prüfungen bedeuten für die meisten Menschen Stress. Gibt es aus deiner Sicht auch Vorteile? Was ist deren Sinn?

DU: Prüfungen sind wichtig, weil klare Positionen am Tag X sichtbar sein sollen und weil sie eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema bedeuten. Intensiv heißt in dem Fall, zu wissen was erwartet wird. Die Vorbereitung – die Zeit bis zur Prüfung – ist auch für einen selbst wichtig. Man soll schließlich der Prüfungskommission zeigen, dass man sich den Anforderungen mit Ernsthaftigkeit gewidmet hat. In stressigen Situationen, zum Beispiel in einer Prüfung, werden Stärken und Schwächen sichtbar. Wenn Techniken unter Druck nicht wiedergegeben werden können, sind sie noch nicht „drin“.

NK: Reicht es nicht, dass der Sensei, der seine Schüler ja am besten kennt, ihnen eine Graduierung (zumindest bei den Kyu-Graden) zuerkennt, also quasi verleiht? Er kann doch am besten Rückmeldungen zum individuellen Fortschritt geben

DU: Ein Aspekt bei Prüfungen ist üben, üben, üben. Ohne dem wird keine Meisterschaft erreicht. Prüfung ist Anlass zum üben und gibt Impulse, noch mehr aus sich herauszuholen. Wenn alle Menschen mit gleicher großer Ernsthaftigkeit und Hingabe trainieren würden, dann wären Prüfungen überflüssig. Bei einer hohen Trainingsintensität wie bei einem Profi wären keine Prüfungen erforderlich. Auch werden die Schwankungen der Leistung beim Training ausgeglichen durch die Prüfungsvorbereitung. Nach jeder Prüfung startet man quasi auf einem neuen Level neu. Der Fortschritt oder Lernerfolg erfolgt ja nicht treppenmäßig linear gleichmäßig nach oben. Es ist eher wie ein Laufen in den Dünen mit sehr langen Stufen, die rauf und runter gehen. Doch „Besser sein“ ist nicht der Maßstab. Mit jeder Prüfung wächst der eigene Anspruch, weil man immer mehr erkennt, was noch fehlt. Nach einer Prüfung ist man erst einmal stolz und wenn man dann zum Training geht erkennt man, dass man nichts weiß. Die Technik soll immer mehr aus dem Vordergrund der eigenen Übung verschwinden, damit immer mehr Freiheit entsteht. Eine wirklich freie Bewegung setzt einen wirklich freien Geist voraus. Der wirklich Erfahrene wird immer bescheidener und erkennt immer mehr die Größe und Tiefe des Ganzen und versinkt in Scham vor der Großartigkeit der Gesamtheit. Es ist ein scheinbarer Widerspruch, denn gleichzeitig wird man immer fröhlicher und gelassener. Das ist das Ergebnis des Einswerdens: man wird getragen, das ist großartig und von Grunde auf nichts Böses. Am Dalai Lama kann man sehen, wie bescheiden er daherkommt und trotzdem ist er großartig. Seine große Klarheit ist sichtbar. Im Alltag ist es schwierig ohne Übung diese Tiefe zu durchdringen. Es gehört aber auch Gabe dazu und das Glück, dass es einem ermöglicht wird. Ein berühmtes Beispiel steht in der Bibel. Dort wird erzählt, wie der Römer Saulus vom hassenden Menschen zu einem völlig anderen wird, aus einer plötzlichen Eingebung heraus. So ein Geschenk ist natürlich sehr, sehr ungewöhnlich.

NK: Besteht nicht die Gefahr, dass die Schüler die vorgegebenen Techniken für die Prüfung nur „einstudieren“ und das dann den eigentlichen „Lernerfolg“ verzerrt?

DU: Man kann Aikido nicht nur für den einen Tag lernen und dann vergessen. Ki kann man nicht inszenieren. Die Seele des Ai Hamni Nikyo kann man nicht aus Büchern verstehen oder vom Zugucken begreifen, sondern nur in der direkten Begegnung mit dem Lehrer. Sonst wird alles beliebig und das sieht der Prüfer sofort.

NK: Trotzdem spielt das Beherrschen der vorgegebenen Techniken in Prüfungen ja eine große Rolle. Gibt es darüber hinaus noch andere, universelle Kriterien für das Bestehen oder Nicht-Bestehen?

DU: Ob Prüfungen bestanden werden oder nicht hängt nicht von der Technik allein ab. Man besteht die Prüfung nicht, wenn der Prüfer nicht den Ki-Ansatz merkt. Wichtig sind die Grundsätze des Eintretens, das Aufnehmen und Fallenlassen können – ohne Konfrontation. Das wird mit höheren Graduierungen wichtiger, erst recht bei den Dan-Graden. Aber auch schon in den Kyu-Graden müssen Ansätze dessen vorhanden sein, vor allem beim 1. Kyu. Bis zum 3. Kyu stehen die Techniken im Vordergrund. Der Prüfer muss sehen, dass der nächste Schritt möglich ist, sonst fällt man durch. Jeder Prüfer beurteilt das natürlich anders. Ob das gerecht ist oder ob eine Prüfung überhaupt gerecht sein kann, ist schwierig zu beantworten Es gibt keine allgemeinen Kriterien zum Abhaken. Worauf es im Allgemeinen ankommt, steht in der Vorbemerkung zur Aikido Shinki Rengo Prüfungsordnung (Anmerkung: ist unten angefügt) aber natürlich ist die Bewertung individuell und es ist vom Prüfer abhängig, wie er den Ki-Fluss beurteilt.

NK: Im Aikido lernen wir ja nicht nur die Perfektion einer Technik, sondern auch die Perfektion in der Gestaltung der Beziehung zwischen Uke und Nage. Und wir lernen den Budo-Weg. Welche Techniken sind dafür besonders geeignet?

DU: Die Technik ist eigentlich zweitrangig, aber man braucht sie als Handwerkzeug für Optionen, um die Vielzahl der Begegnungen zu einem harmonischen Ende bringen zu können. Sie geben einem Möglichkeiten und zeigen auf, wie man aus einer konfrontativen Situation rauskommt. Beim Tanzen kommt es nur auf völlige Harmonie an, beim Budo ist es etwas anders. O Sensei sagte: Sinn ist es, die Kontrolle zu übernehmen und dem Angreifer deutlich machen, dass es so nicht funktioniert. Techniken sind also das Handwerkzeug um Situationen zu beherrschen. Man muss multiple Variationen lernen, weil man im Ernstfall in seiner Entscheidungsfindung und Reaktionszeit limitiert ist. Es ist wie bei einem Maler. Wenn er Farben nicht beherrscht und nicht weiß, wie ein Pinsel funktioniert oder man die Dreidimensionierung und Tiefe in Bildern ausdrückt, kann er nicht malen. Bis zu einem bestimmten Punkt kann man vielleicht gut sein, doch Perfektion wird man nicht erlangen. Bei einem Musiker ist es genauso, er muss als Handwerkszeug unter anderem Noten lesen können. Beim Aikido ist es genauso. Wenn man nur drei Techniken kann, ist es gut, aber es fehlt einem die Variabilität. Und die ist wichtig, weil Begegnungen im Leben multifaktoriell sind. Wir lernen mit unseren Techniken also immer mehr Handwerkzeug, um bei dem, was zwischen Menschen passieren kann, immer gelassener und souveräner zu werden. Denn das Üben des Aikido zeigt eben auch Möglichkeiten auf, wie Situationen auch außerhalb der Matte bewältigt werden können. Die Technik ist am Ende nicht entscheidend, aber KEINE Technik, das wäre entscheidend.

Lieber Duncan, ich danke für das Gespräch.

Interessante Aspekte fand ich auch in den Ausführungen der Lübecker Aikido-Gruppe: http://www.taichi-chuan-luebeck.de/aikido-pruefungen.html

Auszug aus der AIKIDO SHINKI RENGO PRÜFUNGSORDNUNG (STAND: 01. 05. 2009):

Die Aikido-Technik muss kampfwirksam sein. Die Bewegung muss aber natürlich bleiben, was dadurch gewährleistet wird, dass man sich vom Bauch als der Mitte des Körpers her bewegt (Hara-Prinzip). Die Durchführung der Aikido-Technik sollte schließlich vom Ki (= Urlebenskraft) beseelt sein. Am Anfang ist es besonders wichtig, dass man nicht auf eine Vielzahl der Techniken aus ist sondern wenige Grundtechniken gut beherrscht. Zunächst sollte man auf eine standfeste Grundhaltung (Kamae) und sichere Schritte (Sabaki) achten. Es soll dann gelernt werden, den Abstand (Maai) zum Angreifer (Seme oder Uke oder Tori als Partner in der Angreiferrolle) abzuschätzen sowie auch das Timing beim Einsatz der Technik. Mit der Zeit sollen die Bewegungen immer fließender und die Details der Technik immer genauer werden. Auch die Zahl der Techniken muss kontinuierlich steigen, damit die Schmalspurigkeit vermieden wird. Die Prüfungen der höheren Grade setzen auch die Techniken der niedrigeren Grade voraus. Es ist darauf zu achten, dass die Technik nicht wild, grob und hektisch, sondern genau, weich und dynamisch durchgeführt wird. Mit der Zeit soll dann die wahre, beherrschte Schärfe der Technik gefördert werden. Bei der Übung sollte man immer auf den Partner / die Partnerin je nach dem Fortschrittsgrad, der körperlichen Beschaffenheit, dem Alter usw. Rücksicht nehmen. Bei der Dan-Graduierung werden darüber hinaus die Beherrschung des Ki, die meditative innere Haltung in Schlichtheit, Bescheidenheit und Unverzagtheit des Herzens und das Engagement für Aikido im allgemeinen und für Aikido Shinki Rengo im Besonderen berücksichtigt. Zur Dan-Graduierung gehört auch, dass man nicht nur selber gut Techniken beherrscht, sondern auch andere zur Entwicklung verhelfen und sie gut beurteilen kann. Dies ist eben die Voraussetzung, dass die Dan-Graduierung zugleich zur selbständigen Graduierungsbefugnis führt.

Siebentes Interview: Vom Reden und Schweigen

Kann man übers Schweigen reden? Lernt man beim Aikido-Training andere Dinge durch Schweigen als durch Reden? Welche Bedeutung hat das Schweigen bei der Meditation, beim Aufwärmen oder beim Aikido? Nicole (NK) mit Sensei Duncan Underwood (DU) im Gespräch:

NK: Man kann viele Aspekte des Aikidos nicht in Worte fassen. Nur die reine Technik kann man erklären. Doch da ist mehr?

DU: Ja, natürlich. Unser Lernen und Begreifen ist auf Sprache ausgerichtet. Technik kann man mit Worten erklären, aber irgendwann hört es auf, darüber hinaus ist durch Analysieren nichts mehr zu lernen. Dann setzt Schweigen ein. Das muss auch einem erfahrenen Schüler bewusst sein, der einem unerfahrenen etwas erklärt. Da wird auch bei uns noch zu viel geredet. Hilfreicher wäre es, nicht so viel zu reden. Sonst nimmt der Erfahrene dem Anfänger die Möglichkeit der eigenen Erfahrung nach innen zu lernen und merkt nicht, dass er oder sie sich nur selbst erhöht. Besser also, wenn der Erfahrene sich mehr auf den Anfänger einlässt. So lernt auch der Erfahrene durch das Üben mit dem Anfänger das Nachempfinden und Verstehen der Struktur und beide können sich ohne Worte auf den inneren Lernprozess einlassen. Die Trainingssituation wird ja von jedem anders gestaltet und Empathie muss zum Training gehören. Uns fällt es schwer, das Schweigen einfach hinzunehmen. Doch diese Herausforderung ist auch erforderlich. Da ist dann nur reine Akzeptanz, nur das Lernen. Nur Leben. Es ist wahnsinnig wichtig, dass auch das Schweigen Teil des Lernens ist. Im Großen und Ganzen liegt es aber immer an einem selber, welche Erfahrungen man wie machen will.

NK: Unser Sonntagstraining beginnt mit Meditation. Da ist das Schweigen ja Bestandteil der Übung und fällt überhaupt nicht schwer. Wie lässt sich das auf das folgende Training übertragen?

DU: Schweigen ist im Zen sehr ausgeprägt. Schweigen ist der Kernpunkt überhaupt. Nur wenn wir Schweigen, können wir uns aufs Wesentliche einlassen. Die Tiefe erfahren, das Weglassen von allem, was uns festhält. Der große Vorteil beim Budo ist, dass wir aber auch durch Bewegung Erkenntnisse gewinnen können, die wir im Sitzen wie bei der Meditation so nicht erfahren, zum Beispiel das Loslassen. Das Prinzip lernt man in der Bewegung besser als bei der Meditation, das zeichnet das Budo-Training im Allgemeinen aus.

NK: Es fällt auf, dass gerade beim Aufwärmen ein wohltuendes Schweigen herrscht. Es ist wie eine Bewegungsmeditation…

DU: Gerade bei gleichförmigen Bewegungen besteht die Chance, sich auf das innere Lernen einzulassen. Dafür ist auch das Aufwärmen da, um die innere Bereitschaft fürs Lernen zu entwickeln. Das Aufwärmen ist nicht nur eine funktionelle körperliche Übung sondern zielt vielmehr darauf ab, sich innerlich zu öffnen und bereit zu machen um die Begegnung mit dem Partner dann beim Training gut zu nutzen. Sonst wären alle Übungen nur gymnastisch. Natürlich sind die Dehnungsübungen auch körperlich wichtig, sonst könnte man ja auch fünfzehn Minuten meditieren, aber man muss den Körper mit einbeziehen in den Lernprozess. Da eröffnet uns Budo Optionen. Wir nähern uns dem Thema auf eine umfassendere Weise, das Lernen wird erleichtert durch die körperliche Einbeziehung. Das erreicht man nur, wenn man sich dem schweigend nähert. Ansonsten hätten wir Gymnastik und das würde schnell langweilig werden. Deswegen haben die Übungen eine große Bedeutung am Anfang und am Ende des Trainings.

NK: Vielleicht haben es andere Kulturen da einfacher. In Asien zum Beispiel ist es normal, beim Training überhaupt nicht zu reden.

Du: In unserer Kultur hat der Sensei in der Budo-Schulung eine andere Stellung. In Asien versteht es sich von selbst, dass man macht, was der Lehrer sagt, man erwartet es auch als Schüler nicht anders. Unsere Kultur funktioniert anders, wir wollen alles analysieren. Die Balance zwischen Reden und Schweigen ist deswegen bei uns schwieriger. Wäre bei uns das Schweigen einfach ein Hinnehmen, also aufgesetzt, ohne in gelernte analytische Routinen zu verfallen, wäre das sogar eher kontraproduktiv. Die asiatische Art auf der Tatami nichts zu sagen stellt nur Forderungen in den Raum und mutet den Lernenden viel zu. Als Schüler ist man dem ausgesetzt und hat keinen Puffer. Man weiß nicht, wo man steht, es bleibt immer etwas fragend im Raum stehen. Man wird auch nicht gelobt, bekommt keinerlei Rückmeldung. Nur wenn der Sensei dann sagt, dass man Prüfung machen solle oder er einen öfter als Uke nimmt, ist das eine Art Leistungs-Meldung. Das erfordert viel Durchhaltevermögen bei den Schülern. Ich weiß, wie es sich anfühlt, weil ich früher jahrelang so trainiert habe.

NK: Würdest du ein Schweigetraining anbieten wollen?

DU: Ein Schweigetraining ist bei uns nicht authentisch, das wäre aufgesetzt, es entspricht ja nicht unserer Wirklichkeit. Manchmal mache ich ein bis zwei Techniken ohne Worte und merke dann oft, dass hinterher viel schief läuft. Die Leute gucken nicht richtig hin. Manchmal mache ich es so, dass ich hinterher sage, was mir alles aufgefallen ist. Schüler müssen das aufmerksame Hinschauen erst lernen. Auch wenn es bedeutet, dass der Schüler den Ikkyo erst fünfmal machen muss bevor rüberkommt, was ich wollte, das ist also anspruchsvoller. Je nach Wissensstand dauert es auch länger, für Anfänger ist es also anstrengender. Man muss sich auch als Schüler aufopfern und immer mit der gleichen Hingabe trainieren. Dadurch kann vielleicht bei dem einen oder anderen die Lust verloren gehen.

NK: Was kann man durch Schweigen anderes lernen als durch Reden?

DU: Man kommt nicht in die Tiefe durch Reden, aber nur Schweigen wäre nicht konstruktiv, die Lernenden würden sich eher verrennen. Die Führung von außen braucht man, um Dinge richtig zu machen, denn Irrwege kann man selber schwer erkennen. Der Sensei sieht es schneller – sollte er jedenfalls. Das sollte in einem normalen Training auch reichen. Ich persönlich glaube, dass es im Prinzip besser ist, weniger zu reden auf der Tatami. Doch unsere Kommunikations-Struktur funktioniert über Reden. Der Rest ist Hingabe in das, was einem gezeigt wird. Doch es gibt auch Grenzen: Wenn einer der Schüler redet, während ich etwas vorführe, ist es extrem störend für das, was an Energie gerade außerhalb der Technik passiert und es stört den inneren Lernprozess beim Schüler. Je besser der Lehrer, desto weniger muss geredet oder erklärt werden. Das klappt natürlich nur, wenn der Lehrer das Prinzip selber durchdrungen hat. Zusammengefasst ist Schweigen also das Wesentliche. Aber der maximale Lernerfolg ist anfangs so nicht zu erreichen, erst nach Jahren des Trainings braucht man keine Worte mehr, dann begreift man durch sehende Erkenntnis. Man spürt es und setzt es um. Das Schweigen müssen wir erst und mehr üben. Schweigen ist wie nach innen gehen, Reden geht immer nach außen. Die Technik ist ein Instrument, um nach innen zu gehen. Durch Reden kommt man da nicht hin.

Man kann als Beispiel der Notwendigkeit des Nichtredens und der Notwendigkeit des unmittelbaren Erfahrens folgendes Beispiel anführen: Wenn man außerhalb der Budo Community über das Schweigen redet mit Leuten, die sich nicht elementar damit auseinandergesetzt haben, werden die eigenen Worte inhaltslos. Dann hat man nicht die Rolle als Lehrer und befindet sich in einem rationalen Erklärprozess. Das, was man eigentlich sagen will, wird durch das Reden belanglos. Ohne eigene Erfahrung ist das Verstehen des inneren Prinzips nicht möglich.

NK: Lieber Duncan, ich danke dir für das Gespräch.

Folgendes Zitat eines Zen-Meister ist überliefert: „Der Zen-Weg ist ein Weg ohne Worte. Kein Wort, kein Gedanke, keine Vorstellung trifft die Wirklichkeit. Die einzige Antwort ist donnerndes Schweigen“ siehe Rezension Nummer 14 / Die 7 Wege des Samurai

Achtes Interview: Kommunikation, Konflikte, Aikido
„Man kann nicht nicht kommunizieren“ sagte schon der Philosoph und Psychoanalytiker Paul Watzlawick. Ein Großteil der Kommunikation erfolgt non-verbal, das heißt ohne Sprache. Erfolgreiche Kommunikation bedeutet also, die Begegnung mit einem oder mehreren Gegenüber zu gestalten. Über die Parallelen zum Aikido sprach Nicole Knudsen (NK) mit Sensei Duncan Underwood (DU):

NK: Kommunikation bedeutet, die Beziehung zu gestalten – das klingt wie Aikido?

DU: Alles, was man macht, ist Kommunikation. Man tauscht sich aus, es ist die Art, sich zu verhalten. Aikido ist darauf angelegt zu kommunizieren. Kommunikation bedeutet menschliches Miteinander. Im Aikido lernen wir, wie Begegnungen zu einem definierten und nicht schädlichem Ende geführt werden. Das heißt nicht: Kompromisse finden, sondern Klarheit – auf einer liebevollen Grundlage. Ohne die Wahrnehmung dessen, dass zwischen Menschen etwas stattfindet, wird man nicht weiterkommen. Schon O Sensei hat gesagt: „Grundlage von allem ist das Miteinander“. Das Aufnehmen dessen, was einem gegeben wird, ist entscheidend für das, was folgt. Jede Begegnung ist anders, man muss sich jedes Mal neu darauf einstellen. Aber das Empfangen und die innere Haltung, die offene Art und die Hingabe müssen immer die gleichen sein. Die Fähigkeit, auch mal andere Wege zu suchen erreicht man nur, wenn man von innen heraus offen ist. Es dauert sehr lange bis man merkt, was da passiert.

NK: Aikido wird allgemein als Konfliktlöser interpretiert. Es geht darum, den Angriff zu töten, nicht den Angreifer. Wie gelingt das?

DU: In einem Konflikt ist die Konfrontation ja schon da, dazu müssen wir uns verhalten, sonst können wir nicht lernen. Das ist ganzheitlich gemeint und deswegen schwer in Worte zu fassen oder analytisch zu interpretieren. Wir müssen immer Entscheidungen fällen – ohne eine Entscheidung zu fällen. Das müssen wir verinnerlichen. Wir müssen beim Training und außerhalb des Trainings oft mit Überraschungen umgehen. Da bauen sich Verteidigungsmuster auf, die die Begegnung verhärten. Im Aikido lernen wir das zu vermeiden, weil ansonsten das Gegenüber die Kontrolle übernimmt. Im Leben, beim Aikido, geht es jedoch nicht um Kontrolle, die schränkt einen nur ein. Kontrolle bedeutet, Grenzen zu setzen. Die Kunst ist, Begegnungen durch Nicht-Kontrolle zu lenken, unsichtbar, automatisch. Dann sind Verhärtungen nicht nötig. Die offene Aufnahme der hineinkommenden Kraft oder Begegnung, diese loslassend und offen aber entschieden zu Ende zu führen – das ist das entscheidende Moment. Begegnungen können ja auf vielfältige Art passieren. Doch innerlich muss die eigene Grundhaltung immer die gleiche sein. Egal, ob einem ein anderer Mensch hart und aggressiv begegnet oder ob er konfrontativ herumschlängelt. Auch im Aikido kann ein Angreifer ohne Klarheit herumschwurbeln, aggressiv aber unkonkret. Das darf nichts an unserer inneren Haltung ändern. Von innen fallenlassende Gelassenheit. Selber für sich klar sein. Das gilt im Leben in der Begegnung mit Aikido genauso wie ohne Aikido. Aber Aikido ist ja auch Leben.

NK: Gibt es Aikido-Spezifische Besonderheiten der Konfliktlösung?

DU: Man kann nicht einzelne Aspekte heraus picken, was Aikido beinhaltet und was nicht. Zu dem Verhältnis mit unseren Mitmenschen gehören Konflikte dazu. Man kann mit Aikido Konflikte lösen, aber das ist ja nur ein Teil-Effekt, ein Neben-Effekt. Es gibt sogar Schulungen und Führungs-Seminare mit dem Titel „Aikido für Manager“ die zeigen sollen, wie die Kampfkunst in das Berufsleben von Führungskräften übertragen werden soll. Aber das ist nicht Aikido, es sind alles nur Teilaspekte eines viel Größeren. Sinn des Aikido ist es nicht nur, in einen Kampf eintreten zu können sondern vielmehr: ein Geschehen aufzunehmen und zu beenden. Wenn man nicht bereit ist, in den Konflikt –oder in das Geschehen – einzutreten, muss man weglaufen. Das funktioniert im Leben so ja aber nicht (immer). Wir müssen auch aus einer konfliktträchtigen Begegnung oder einer Risiko-Situation lernen, sonst würden wir zerbrechen. Und wir müssen lernen, auch den anderen in so einer Situation nicht zu zerbrechen. Auch kommunikativ. Wenn man jemanden verbal „fertig machen“ will, hat man vielleicht einen Streit gewonnen, aber man hat nicht die Begegnung gewonnen – und man hat nichts gelernt. Konfliktlösung mit Aikido ist also nur ein Aspekt, aber übergeordnet muss die Gesamtsicht auf die Welt stehen. Wenn wir das verstanden und verinnerlicht haben, haben wir keine Konflikte mehr. Wenn es einem nur um den Aspekt „ICH habe den Konflikt gelöst, ICH habe gewonnen“ geht, dann hat man nichts verstanden. Es geht um das große Erkennen und darum, anderen davon etwas mitzugeben. Das ist ZEN.

NK: Eigentlich ist Aikido kein Kampfsport und auch mehr als eine Kampfkunst. Aikido ist ein Lebensmodell. Kann ein Aikidoka auch außerhalb der Tatami überhaupt Aikido-los kommunizieren?

DU: Ein Aikidoka ist ein Mensch, also ein komplexes Gebilde und von vielen Dingen beeinflusst. Wenn man sich auf den inneren Weg begeben will ist Aikido eine Möglichkeit, dorthin zu kommen. Wir entscheiden uns also mit Aikido für einen bestimmten Weg. Doch wenn man sagt, ein Aikidoka ist immer ein Aikidoka oder ein LKW-Fahrer ist immer ein LKW-Fahrer oder irgendetwas anderes, ist das zu einfach. Das kann man nicht trennen. Bin ich gerade Aikidoka oder LKW-Fahrer? Ich bin beides. Das sind alles nur Begrifflichkeiten. Am Anfang ist es wichtig, Aikidoka zu sein, das gibt Orientierung. Doch später muss man diesen Weg verlassen. Alle Eingrenzungen, alle Begrifflichkeiten sind nicht förderlich für das eigene größer werden. Aikido gibt uns die Möglichkeit, das Leben als Ganzes wahrzunehmen. Irgendwann ist dann alles Nichts, alles ist gleich bedeutend. Wenn am Ende dann also das Nichts steht ist auch kein Aikido mehr da. Alles andere wäre eine nicht zielführende Eingrenzung. Das wäre schade.

NK: Lieber Duncan, ich danke dir für das Gespräch.

Neuntes Interview: Memento Mori: Über das Sterben im Budo
Früher zogen die Samurai mit der Gewissheit in den Kampf, dass sie sterben könnten. Aus dieser Situation ergab sich eine klare Konsequenz, nämlich die Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Zulassen dieses Gedankens. Heute ziehen wir nicht mehr in den Kampf. Spielt das Sterben trotzdem noch eine Rolle im Budo? Hierüber sprach Nicole Knudsen (NK) mit Sensei Duncan Underwood (DU)

NK: Heute geht es um ein schwieriges Thema, über das man eigentlich nicht so gerne spricht: den Tod. Dabei ist er heute so aktuell wie früher.

DU: Sterben und Tod sind eigentlich keine schweren Themen. Der Tod ist ja immer da und begleitet das Leben. Die meisten Menschen beschäftigen sich nur nicht damit. Das liegt vielleicht daran, dass er so unendlich endgültig erscheint – Aber das ist abhängig von der Art und Weise wie wir unser Leben betrachten. Inwieweit wir Transzendenz an uns heranlassen. Und das ist wiederum abhängig von den Erfahrungen, die wir machen. Die Samurai hatten die unmittelbare Nähe dazu, während wir sie suchen müssen. Der Einbezug von irdischer Endlichkeit, der Tod, gehört zu aller Reflexion um das Leben dazu.

NK: Und zum Budo: Im Training sagst du ab und zu, dass man nicht den Angreifer sterben lassen soll sondern den Angriff…

DU: Damit meine ich, nicht nur den Angriff sterben zu lassen, sondern etwas in uns. Leer werden. Absichtslos werden. Das ist das Ziel. „Sterben“ ist dabei nur ein Bild für das komplette Weglassen. Man muss Bilder schaffen für Dinge, die man eigentlich nur erfahren kann, um das Erreichen des Zieles zu verdeutlichen. Die Samurai haben nach und nach verstanden, dass je mehr man an seinem Leben hängt, desto mehr will man es behalten und dann ist sofort die Angst da. Und die Angst fesselt einen. Dadurch wird man automatisch verwundbar in seiner Fixiertheit auf das Festhalten des Lebens. Also muss man loslassen, um innerlich und äußerlich frei zu sein in dem was man tut. So wurde letztendlich die Vertiefung des Geistes innerhalb des Budo geboren.

NK: Im Hagakure wird noch von der „Samuraitradition der Todesbereitschaft“ und dem „richtigen Sterben“ gesprochen. O Sensei hat daraus die Lehre vom „richtigen Leben“ entwickelt. Doch meint Meister Ueshiba, dass derjenige, der mit dem göttlichen Ki verbunden ist, auch irdisch („äußerlich“) unbesiegbar sei. Was bedeutet das?

DU: Im Budo existieren zwei Wirklichkeiten. Die Samurai haben ihre Kampfbereitschaft häufig mit dem Leben bezahlt. Sie sind für ihren Herrn gestorben – und waren dazu auch bereit. Aber natürlich wollten sie nicht sterben. Deswegen sind sie ja auch gute Kämpfer geworden. Das ist die eine Seite, die unmittelbar irdische. Das ist heute nicht mehr notwendig. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Tradition weiterentwickelt. Budo hat auch durch die immer weniger werdende Notwendigkeit zu kämpfen die Möglichkeit gehabt, sich in die Tiefe zu entwickeln. So wurde das Bewusstsein für die geistigen Notwendigkeiten im Dasein des Lebens immer mehr Ziel der Erkenntnis und des Übens. Die Opferbereitschaft im traditionellen Sinn, wurde zurückgedrängt. Es wuchs die tiefere Erkenntnis, dass Sterben mehr ist als leibliches Sterben. Der Leib ist nur ein Teil. Die Sichtweise auf unser Dasein hat sich verfeinert. Budo ist dann letztendlich daraus entstanden, dass die Samurai ihr „kleines Ich“ (ihre egoistische Selbst-Zentriertheit) haben sterben lassen. Das ist die andere Wirklichkeit.

In einem Kampf um Leben oder Tod siegt derjenige, der nicht siegen will, sondern sich der Situation hingibt, wie ich es vorhin schon gesagt habe. Miyamoto Musashi hat am Ende seines Lebens gar nicht mehr gekämpft.

NK: Doch Aikido heißt auch kämpfen…

DU: Wir üben heute keine Aikidotechniken, um vernichten zu wollen. Aikido ist ja mehr als Technik oder Kampfaspekte. Aikido beschäftigt sich mit dem Körper und man muss über die Techniken einen Prozess beginnen, um die Grundlagen des Ganzen zu verstehen. Wir üben Techniken nur als Instrument, um den Angriff wegzulassen, sich selber wegzulassen, alles Unbedeutende, alles was hinderlich ist. Weglassen müssen wir auch den Anspruch, gut sein zu wollen oder eitel zu sein. All das blockiert uns und macht es schwierig, die vielen Aspekte des Lebens wahrzunehmen. Der Vorteil des Aikido ist die Dualität. Das Körperliche üben und dabei das Geistige berücksichtigen. Das wirkliche Lernen im Aikido beinhaltet Klarheit darüber zu schaffen, was das Leben bedeutet; es kann uns als Mensch vervollständigen.

NK: Im Geiste des Shinki vertrauen wir darauf, dass das Gute in Allem letztendlich über das Böse siegen wird. Doch bedeutet es auch, zu diesem Sieg unseren Beitrag leisten zu müssen? Uns quasi in diesem Leben für die Verwirklichung der Liebe als Opfer hinzugeben, wenn die Umstände dies von uns verlangen? Quasi doch ein wenig wie die Samurai.

DU: „Opferbereitschaft“ klingt nach katholischer Kirche und betont eine Seite des Leidens, die sich eher egoistisch anfühlt. Sich opfern wollen heißt, etwas Besonderes sein zu wollen. Wenn man sich in eine Opferrolle einfühlt, ist die Gefahr groß, sich damit selbst erhöhen zu wollen. Wie in jeder Rolle. Das ist doch eher fragwürdig. Wer sich in die Opferrolle reindrängt, hat die tiefere Erkenntnis nicht verstanden. Wir sollen uns nicht opfern, sondern unser eigenes Selbst, unser Dasein, loslassen. Dazu gehört das Loslassen des Geistes und der Dinge die uns fesseln (Ansprüche, Begierden, alle Egoismen..). Wir sind nichts Besonderes. Unser kleines Ich muss sterben – also doch kein Widerspruch zu früher.

NK: Daishi meint: ob lebendig oder tot – wir wissen uns im großen Shinki aufgehoben. Dann verliert der Tod eigentlich seine Bedeutung?

DU: Sterben ist das Nicht-Vorhandensein des Daseins, der Materie, hat eine Form, die nicht in Worte zu fassen ist. Wir müssen körperlich sterben. Was dann kommt, ist ein anderes Thema.

NK: Lieber Duncan, ich danke dir für das Gespräch.

Zehntes Interview: Budo in der Pandemie - Das große Ki ist tragend
Es gibt wohl Niemanden, auf den die Corona-Krise keinen Einfluss hat. Vielen fehlt das Training und der Kontakt zu Menschen. Kann einem BUDO bei der persönlichen Bewältigung der pandemischen Situation helfen? Hierüber sprach Nicole Knudsen (NK) mit Sensei Duncan Underwood (DU)

NK: Lieber Duncan, wie geht es dir in Corona-Zeiten? Fehlt dir das Training auch?

DU: Einerseits vermisse ich natürlich das Training und dass wir uns nicht mehr sehen. Doch persönlich hat die Trainingspause keinen Einfluss auf mich, für mich persönlich hat sich nichts geändert. Wenn die innere Haltung und innere Einstellung stimmt, wenn man selber in seiner Gesamtheit immer mehr das Umfassende des Shinki spürt, dann bleibt alles wie es immer war.

NK: Doch braucht es nicht auch das Training, um diese Haltung zu lernen?

DU: Ich habe den Vorteil, dass ich schon über Jahre trainiere und die Bewegungsabläufe verinnerlicht habe. Deswegen haben auch längere Pausen nicht einen so großen Einfluss auf mein Gesamt-Sein. Eine Sache, die lange bestanden hat, wirkt nach, man verlernt sie nicht. Aber ich vermisse die Bewegung und es ist natürlich schade, dass ich nicht beim Training sein kann, doch es ändert sich trotzdem nichts für mich als Mensch.

NK: Neben der persönlichen Bedeutung hat das fehlende Training aber auch Auswirkungen auf die Gruppe. Wenn ein Training wieder möglich ist kommt ja jeder in einem anderen Bewusstsein zurück, hatte seine eigenen emotionalen Erfahrungen, der Kontext ist ein anderer. Müssen Gruppendynamiken und -Aktivitäten eventuell wieder neu entdeckt werden?

DU: Für die Gruppe ist die lange Trainingspause natürlich schlechter, weil die Interaktion ein wichtiger Aspekt für das Erlernen von Budo oder Aikido ist. Wenn die Pandemie noch lange anhält könnte es sein, dass sich Personen aus der Gruppe in eine andere Richtung weiter entwickelt haben. Die Gefahr besteht, das wäre traurig. Doch alle bei uns können grundsätzlich wieder zusammenfinden, wenn die Pandemie nicht noch sehr viel länger dauert. Vielleicht können wir im Frühjahr oder Sommer wieder trainieren. Dann wird es schnell wieder so sein wie früher, da bin ich optimistisch. Auch, wenn Zusammenkünfte vorerst nur eingeschränkt möglich sind. Ich vertraue unserer Gruppe. Das Miteinander, unsere Form der Gemeinsamkeit, das gemeinsame Üben, all das schafft wieder Perspektiven. Aikido übt das Eins-Sein mit dem Potential, uns wieder zusammen zu führen. In anderen Sportarten – wie zum Beispiel mit Wettkampfsituationen – wäre das Potential des Auseinanderdriftens sicherlich größer. Doch das Zusammenfinden wieder herzustellen ist unser Aller Aufgabe. Damit meine ich keine oberflächliche oder zwanghafte Harmonie, dann hätten wir auch was falsch gemacht.

NK: Die Pandemie hat auch Vorteile aus Budo-Sicht: sie zwingt uns in eine innere Einkehr, wir können auch so das ständige Grundprinzip des Eins-Seins üben, was wir sonst durch die Techniken lernen.

DU: Natürlich. Budo hat Einfluss darauf, wie wir miteinander umgehen und wie wir uns begegnen. Dabei ist es elementar, dass wir uns auf uns und auf das innere Prinzip besinnen. Das können wir auch jetzt üben, es ist ja ein lebensbegleitendes Prinzip und gilt nicht nur auf der Matte. Dass, was wir sonst auf der Matte üben, das Prinzip des Durchdrungen-Seins der Einheit kann jetzt besonders geübt werden weil wir gerade wegen der Pandemie und auch wegen der dunklen Jahreszeit schärfer nach innen gehen müssen. Man darf nicht vergessen, dass Veränderung uns prinzipiell Optionen geben, einen Schritt weiter zu gehen. Aus jeder Krise können wir gestärkt hervorgehen, sie birgt Möglichkeiten, um uns weiter zu entwickeln. Das große Ki ist tragend.

NK: Lieber Duncan, ich danke dir für das Gespräch.

Elftes Interview: Von Auferstehung, Erleuchtung und dem Heiligen Geist
Passend zur Osterbotschaft – der Auferstehung – sprach ich (NK) mit Sensei Duncan Underwood (DU) über die Parallelen und Unterschiede des Christentums und asiatischen Philosophien.

NK: Lieber Duncan, Ostern wird von Christen auf der ganzen Welt als Fest der Auferstehung gefeiert. Jesus wird dann auch als „erleuchtet“ dargestellt. Auch in asiatischen Philosophien und Religionen wird von „Erleuchtung“ gesprochen, so auch im Budo. Gibt es da vielleicht sogar Parallelen?

DU: Ja, das denke ich schon. Auferstehung und Erleuchtung kann man nicht voneinander trennen. Die christliche Seite hat dabei ja viele Facetten. Das eine Extrem geht von einer tatsächlichen leiblichen Auferstehung aus, doch diese Sichtweise ist mir zu abstrus. Man findet diese Denkweise in allen christlichen Religionen doch ebenso bei allen auch verschiedene Aussagen und Auslegungen zu diesem Phänomen. Der Grund ist wohl, dass die Menschen unsterblich sein wollen, dass das Leben nicht mit dem Tod enden soll. Das Göttliche soll den Tod überwinden. Naturwissenschaftlich ist die leibliche Überwindung des Todes natürlich schwer nachzuvollziehen. Doch ich bin davon überzeugt, dass es im Universum eine Kraft gibt, die größer ist als das von uns erlebte Leben. Für mich steht dabei die Geistige Überwindung des Todes im Vordergrund. Auch sie erlöst aus der Spirale der Hoffnungslosigkeit. Wir können dankbar sein, dass wir da sind und teilhaben können an der großen Kraft die über das, was wir kennen, weit hinausgeht.

NK: Diese Art der Auferstehung findet dann aber nicht erst am Ende des Lebens, im Tod, sondern bereits Mitten im Leben statt. Ist es erlaubt, dann von „Erleuchtung“ im Sinne Buddhas zu sprechen?

DU: Ja, vielleicht. Die Kräfte sind bereits im Leben erfahrbar und werden positiv erlebt. Man erfährt bereits im Jetzt, dass es etwas gibt, was über das irdische Leben hinausgeht. Was exakt nach dem Tod ist, ob da noch etwas kommt, wissen wir nicht. Wir können nur Strukturen nachgehen, die uns dem Sterbegeschehen näher bringen und erfahren was es bedeutet, nicht mehr da zu sein. Wenn Religionen starre Glaubenssätze haben, die andere Überzeugungen ausschließen („wenn du nicht genau so glaubst wie wir, bist du kein Teil mehr von uns“), ist es natürlich schwierig, Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Religionen und Philosophien zu beschreiben. Aber das ursprüngliche Christentum, vor allem wenn man die Aussagen von Jesus betrachtet, ist nicht so dogmatisch und ausschließend. Auch der Buddhismus ist dabei nicht völlig frei von Grundsätzen oder Kodizes, bedeutet einem jedoch auch, sich der offenen Wahrnehmung hinzugeben, diese wirken zu lassen und dann zu entscheiden: Pass ich da rein oder nicht.

Nimm zum Beispiel die Musik: von Heavy Metal bis Klassik ist alles dabei. Nicht jeder mag alles, ich mag zum Beispiel keine Schlager, aber es gibt bestimmt auch schöne Songs dazwischen. Ich werde nun nicht jemanden ablehnen, nur weil der gerne Schlager hört. Der Mensch ist so viel mehr. Ich finde Kodizes gut, zum Beispiel einen Werte-Kodex der Menschlichkeit, wie es in den zehn Geboten aufgezählt wird. Insbesondere der Nächstenliebe kommt eine große Bedeutung zu. Auch hier muss nicht alles über tausende von Jahren gleichbleiben, aber sie stellen eine Hilfestellung für das Finden einer Struktur, für das Zusammenleben der Menschen.

NK: Ich muss mich also erst öffnen, um die Vielfalt zu erkennen?

DU: Die Möglichkeiten des Lebens mit allen Tiefen und Facetten erlebt man erst, wenn man offen ist und einen weiten Blick hat. Das ist etwas sehr aktives, man muss sich darum kümmern. Das Öffnungsprinzip gelingt natürlich nicht sofort, es kommt auch nicht über einen wie ein Blitz, es ist ein langer schrittweiser Prozess mit vielen Stufen. Vielleicht entsteht hier und da mal die eine oder andere Öffnung in die eine oder andere Richtung. Das ist kein automatischer Prozess und funktioniert auch nicht von alleine. Wir müssen uns Raum und Zeit geben und dem Öffnen hin-geben. Es ist wie beim Gärtnern. Wenn man eine sehr schöne Blume pflanzt und sich nur noch um sie kümmert, aber darüber den Rest des Gartens vergisst, verwildert er. Man muss achtsam bleiben als ein aktives Tun.

NK: Der Auferstehung geht der Tod voraus. Du sagst ja immer, dass das kleine Ich in einem sterben muss, damit man sich dieser Öffnung hingeben kann. Also eine Art geistige Auferstehung?

DU: Auferstehung ist eine große Botschaft, man ist nicht mehr gefesselt am Leiden, kann sich befreien, ist dem Dasein nicht hilflos ausgeliefert. Das ist doch sehr schön und tröstlich. Dadurch hat man so viel mehr Möglichkeiten, mit Leid und wirklich schweren Verlusten umzugehen. Auch lange vor dem leiblichen Tod. Auferstehung ist eher ein Sehen, dass es einen Pfad gibt. Auferstehung und das Befreien aus den Zwickmühlen des Lebens ist immer etwas Positives und hat auch immer mit innerer Wandlung zu tun. Man bleibt nicht der gleiche Mensch. Und dann sind wir bei der Erleuchtung, dem Leer-Sein des Geistes, dem Eins-Sein mit Allem. Und dem Sterben des kleinen Ichs.

NK: Eine wichtige Rolle in der Osterbotschaft spielt auch der Heilige Geist. Nach der dogmatischen christlichen Lehre ist der Heilige Geist etwas externes, ein Teil der Dreifaltigkeit, der Atem Gottes. KI wird in der asiatischen Lehre auch ähnlich definiert, ist aber eher die Kraft in uns.

DU: Wenn wir Körper und Geist voneinander lösen, haben wir ein Problem. Wir sind beides. Tiefe Erfahrung kommt durch Leiden, sowohl körperliche als auch geistige, kommt durch innere und äußere Grenzerfahrungen der verschiedensten Art und Ausprägung. Der Heilige Geist, der uns durchweht, ist gleich zu setzen mit dem KI, der großen und alles durchströmenden Kraft. KI und Heiliger Geist: Beides kann erlebt werden, ist nicht analytisch ergründbar, aber erfahrbar. Auf der einen Seite können wir naturwissenschaftlich unterwegs sein und doch gleichzeitig Grenzerfahrungen machen. Durchströmt zu sein vom Heiligen Geist – oder KI – ist ein großartiges Geschenk. Es ist also immer positiv – aber nicht untrennbar von unserem Körper. Ich will damit sagen, dass wir unseren Körper brauchen, um diese geistigen Erfahrungen zu machen. Was dann allerdings nach dem leiblichen Tod kommt, kann man nicht sagen. Das bleibt Glaubenssache und muss erfahren werden.

Um die Möglichkeit zu haben diese anderen Erfahrungen zu machen, gibt es verschiedene Wege oder Lehrpfade und Werkzeuge. Man kann gar nicht genug betonen, dass das nichts mit Entmündigung zu tun hat, es ist keine Unterwerfung, wir sind nicht gefangen in Dogmen. Der Heilige Geist und das große durchströmende KI sind keine abstrakten Dinge, sondern erfahrbare Tatsachen, doch lässt sich das nicht analytisch erklären. Und somit kann man mit analytischen Methoden die Skeptiker nicht überzeugen. Das kann im Prinzip nur geglaubt oder erfahren werden. Und das Erfahren ist das, was mich zuletzt überzeugt hat. Außer oder zusätzlich zu den Grenzerfahrungen können uns Techniken helfen, andere Erfahrungen zu machen, wie die Meditation, die ja auch technische Aspekte hat wie durch die Art, wie wir sitzen oder atmen.

NK: Was könnte der Grund dafür sein, seinen primären Standpunkt zu verlassen und sich auf einen unbekannten Weg zu begeben. Ist es die Sehnsucht nach Auferstehung, nach Mehr, die Sinnsuche?

DU: Sinnsuche ist sicherlich eines der wesentlichen Ausgangspunkte. Dabei können Vorbilder helfen. Jesus war so ein Vorbild, aber auch Buddha. Es können aber auch Menschen sein, die man kennt, die einem Wege zeigen können. Und wir können Werkzeuge nutzen, zum Beispiel meditieren. So können sich immer wieder kleine Lichtblicke eröffnen, die einen immer weiter in Richtung des Leerwerdens führen können.

Die Bibel arbeitet dabei oft mit schwer zu interpretierenden Bildern, die vielleicht manchmal etwas zu dramatisch sind. Ob sie tatsächlich immer so gemeint waren, bezweifle ich. Es hat ja keine direkten Chronisten gegeben. Im Nachhinein neigt man dazu, solche besonderen Persönlichkeiten wie Jesus nach ihrem Tod noch weiter zu erhöhen und unserem Wunschdenken anzupassen. Alle vom Menschen aufgeschriebenen Geschichten sind stark mit Interpretationen behaftet. Auch Berichte über O-Sensei müssen interpretiert werden.

Davon abgesehen war Jesus bestimmt ein außergewöhnlicher Mensch mit großer innerer Kraft, er hat Emotionen geweckt und sein Licht weiter gegeben. Hier kann man sicherlich viele Parallelen zwischen ihm und Buddha finden.

NK: Für mich verschwinden die Gegensätze zwischen Auferstehung und Erleuchtung, zwischen KI und Heiligem Geist jetzt immer mehr….

DU: Die Erfahrung, die man mit KI oder dem Heiligen Geist macht, ist die gleiche. Das gilt auch für die Erfahrung, die man mit Auferstehung oder Erleuchtung macht. Es ist die gleiche.

NK: Lieber Duncan, ich danke dir für das Gespräch.

Zwölftes Interview: Shoshin* - Von kleinkindlichem Staunen und langem Üben

Im Budo spricht man von „Shoshin“, einem Anfängergeist, der einem hilft, wachen Herzens zu bleiben.  War der Lockdown hilfreich, weil er uns alle in vielerlei Hinsicht nach langer Trainingspause wieder zu Anfängern gemacht hat? Darüber sprach ich (NK) mit Sensei Duncan Underwood (DU).

NK: Lieber Duncan, wir alle litten unter dem langen Lockdown und der damit verbundenen Trainingspause. Jetzt, wo wir wieder trainieren dürfen, fühlen wir uns ein bisschen wie Anfänger. Doch ist das gemeint mit dem Anfängergeist im Budo?

DU: Nein, sicherlich nicht. Anfängergeist hat nichts mit solchen Anfängen zu tun Der Begriff meint etwas anderes und ist vielfältiger. Der Anfängergeist beschreibt eine ständige Offenheit sich selbst, neuen Bedingungen und der Situation gegenüber. Er soll verhindern, in verfestigte Formen zu verfallen und Techniken nur noch abzuspulen. Dann verfällt man in Schablonen und es ist keine Entwicklung möglich.

NK: Können Schablonen nicht auch hilfreich sein? Zum Beispiel, wenn wir x-mal Ikkyo wiederholen?

DU: Einerseits schon, doch ist der Ikkyo jedes Mal  einen Tick anders, es ist keine Schablone. Man muss die Technik jedes Mal neu mit Leben füllen, das heißt, unvoreingenommen annehmen. Das ist Anfängergeist. Jede Situation neu erleben als wenn man sie noch nie erlebt hat. Es ist vergleichbar mit dem kleinkindlichen Staunen über scheinbar Alltägliches.

NK: Beim Training übernimmst du manchmal die Rolle des Angreifers, wenn du merkst, dass Uke und Nage ihre Technik „abspulen“.

DU: Ich erwarte von mir, und das sollte jeder gute Lehrer, dass ich sehe, wenn es nur noch Abläufe sind, dann mache ich darauf aufmerksam und ermögliche den Schülern, die Situation wieder neu zu erleben und zu lernen. Anfänger zu werden ohne Anfänger zu sein. Auch Äußerlichkeiten gehören dazu, zum Beispiel die Kopfhaltung: die äußere Form spiegelt sich, ändert die innere Haltung. Ich sage ja immer: Suche dir einen Lehrer, der gut für dich ist und der dir hilft, deine eigene Entwicklung voranzubringen.

NK: Es ist nicht ganz einfach, nach dem x-ten Mal Ikkyo unvermittelt und spontan zu reagieren.

DU: Ja, unbelastet. Unbedarft.  Wie ein Anfänger. Wir sind ja eigentlich keine Anfänger. Wir haben ja eine Vorstellung vom Ablauf der Technik und der Bewegung. Schlecht ist, wenn sich Automatismen einschleichen und man nichts Neues mehr entdeckt. Das ist aber elementar, um sich weiter zu entwickeln. Nur dadurch können wir kleine Schritte nach vorne machen. Wie bei der Europameisterschaft: bei jungen Spielern laufen die Automatismen noch nicht- Im Mannschaftsgeschehen muss jedoch das Gefüge stimmen, das ist die Basis. Das macht gute Fußballspieler aus, wenn sie dafür sorgen, dass das Gefüge stimmt, die Passwege etc.  Aber richtig gut wird das Spiel nur, wenn intuitive Mechanismen dazu kommen.

NK: Also wenn ich nur intuitiv Dinge tun, womit keiner rechnet, dann würde ich das Spiel  nicht gewinnen?

  1. Ja, das würde das Spiel arm machen. Man braucht beides, auch Regularien, aber hat man nur die, wird das Spiel und auch das Leben steif und verkrustet.

Beim Aikido ist es das gleiche. Ikkyo tausendmal machen ist die Grundlage. Dann stellen sich Automatismen ein, die wichtig sind. Aber davon muss man sich irgendwann befreien, nur dann kann Entwicklung stattfinden. Ohne Automatismen kann man nicht leben. Wenn Kinder laufen lernen, müssen erst die grundlegenden Bewegungsabläufe gelernt werden. Aber bei komplexeren Bewegungsabläufen wie Tanzen müssen wir das Momentum des Augenblicks aushalten und ihm uns hingeben. Das gelingt nur, wenn wir im Augenblick sind, hier und jetzt.

NK: Um nochmal auf den Anfang zurückzukommen: Ist die Pandemie denn nun eine Chance gewesen, um sich unvoreingenommen den Techniken hingeben zu können?

DU: Das ist wohl individuell unterschiedlich. Ich bin überzeugt: man kann den Anfängergeist nur bekommen, wenn man sehr viel übt. Wenn man sich mehr anstrengen muss  ist es schwieriger, den Anfängergeist am Leben zu halten. Wer besonders viel übt und dabei offen bleibt, macht genau das richtige. Der Anfängergeist setzt langes Üben voraus. Als Anfänger muss man ständig Abläufe überdenken. Rechter Fuß jetzt, dann links rum drehen – das fällt beim langen Üben dann weg. Erst dann kann man sich öffnen.

NK: Kann man diese Offenheit, den Anfängergeist üben? Liegt der in unserer DNA? Oder ist das eher eine Charakter- oder Mentalitätsfrage?

DU: Das kann jeder üben, davon bin ich überzeugt. Und genau das üben wir auch. Letztendlich dient diese Öffnung auch der inneren Befreiung. Das innere Prinzip ist das Befreiungsprinzip. Das ist das Großartige. Wenn man das mit offenem Herzen macht und es einem gelingt, dann ist es erlernbar. Man weiß aber erst nach dem Üben, ob man offen werden kann. Man kann niemanden vorher versprechen, dass es gelingt. Bei dem einen geht’s schneller, beim anderen langsamer. Es kann natürlich sein, dass jemand zwischendurch das Gefühl hat, nichts mehr zu lernen, doch wenn er oder sie dann weiter macht, wird es eine große Entwicklung geben. Wir machen schließlich einen Marathon, keinen Sprint.

NK: Wobei ist es deiner Meinung nach einfacher den Anfängergeist zu schulen. Bei der Meditation, beim Aikido oder beim Schwert?

DU: Vielleicht ist es bei der Meditation einfacher. Wenn wir im Zazen sitzen machen wir immer das gleiche, eine eigentlich banale und unaufgeregte Haltung, aber auch immer wieder neu. Eigentlich ist es nichts schwieriges, wir sitzen, man denkt nicht drüber nach. Trotzdem muss man immer wieder reflektieren, ob man alles richtig macht. Wenn die äußeren Bedingungen nicht stimmen, klappt die innere Haltung auch nicht. Wir setzen uns hin, üben Automatismen, geben uns der Situation hin, die immer anders ist. Das intuitive Aufnehmen dieser Situation, das ist Anfängergeist. Ohne dieses gewohnte Sitzen bei der Meditation wäre es schwieriger. Es ist wie beim Schreiben lernen – zuerst ein mühseliger Prozess. Doch irgendwann können wir tolle Briefe schreiben, die unsere Gefühle ausdrücken. Ohne dieses Üben gäbe es heute keine Briefe und keine Geschichten.

Doch auch bei der Meditation gibt es Unterschiede. Es gibt Menschen, die setzen sich hin und sind erleuchtet (das ist natürlich sehr, sehr selten), für die meisten ist es ein langer Prozess. Auch bei der Meditation verhindert üben nicht den Anfängergeist, sondern ermöglicht ihn überhaupt. Sonst müsste der Anfänger ja besser sein als der Fortgeschrittene, so ist das ja aber nicht. Deswegen war der Lockdown eher hinderlich als nützlich. Desto mehr man Dinge vorher verinnerlicht hat, desto länger kann man eine Zeit des Nicht-Übens aushalten, ohne dass man einen Bruch merkt. Je weniger man vorher in den Prozessen drin war, desto schwieriger wird es nach einer längeren Pause wieder anzufangen.

Beim Schwert ist es wohl am schwierigsten, den Anfängergeist zu bewahren bzw. dorthin zu gelangen. Die sehr strengen äußeren Abläufe gaukeln einem schnell vor, dass man die Form beherrscht, das verleitet dann zu sagen: ich kann schon alles. Dabei ist das nur die äußere Form, aber nicht ihr Herz, es findet dann keine Entwicklung statt. Beim Schwert ist es noch wichtiger auf Grund der Vorgaben, Abläufe zu kennen.  Aber auch hier gilt es, sich daraus zu befreien. Dann entdeckt man, dass in diesen strengen Formen viel Lebendigkeit steckt. Beim Aikido ist es vielleicht etwas einfacher als beim Schwert.

Doch beim Budo gilt generell, dass man sich immer ständig neu einstellen muss auf die Technik. Erst wenn der Ablauf verinnerlicht ist und man nicht mehr nachdenken muss, öffnen sich andere Aspekte und diese Neueinstellung gelingt.

NK: Also eigentlich ist das wie im Alltag?

DU: Auch im Alltag ist der Anfängergeist wichtig. Es gibt in keiner Kultur etwas, was ständig neu entwickelt wird. Es braucht Routinen, um Dinge weiterentwickeln. Das Zusammenleben funktioniert nur mit Regularien in einer Gemeinschaft, aber wir müssen dabei offen bleiben für neue Menschen und neue Entscheidungen. In die Einfachheit zurückzukehren ohne einfach zu sein. Das lernt man erst als Erwachsener. Anders als ein Kleinkind. Das Kind lebt nur intuitiv und aus sich heraus; doch es ist mit dem Leben nicht vereinbar, ein Kleinkind zu bleiben. Um wirklich lebendig zu sein brauchen wir dann eine neue Sicht der Dinge. Dabei bewegen wir uns auch in einem ethisch-moralischen Kontext. Denkt man zum Beispiel an das Verhältnis von Mann und Frau, hat man das Bild einer Familie im Kopf. Doch die Gesellschaft hat wahnsinnige Schritte nach vorn gemacht, viele Lebensmodelle sind heute möglich unabhängig von Geschlechter-Rollen. Automatismen, die moralisch festgelegt wurden, werden aufgebrochen. Regenbogenfarben werden politisch korrekt.  Es gibt nicht nur ein Einerseits / Andererseits. Was liegt dazwischen? Zwischen schwarz und weiß ist noch so viel und das ist nicht immer unbedingt grau. Und hier setzt wieder der Anfängergeist an. Innerhalb der Normen immer wieder bereit zu sein auf zu brechen.

NK: Lieber Duncan, ich danke dir für das Gespräch.

* Shoshin ist ein Konzept des japanischen Zen-Buddhismus welches frei mit „Anfänger-Geist“ übersetzt werden kann. Der Grundgedanke ist, eine Einstellung von Offenheit und Wissbegierde zu bewahren sowie sich mit vorgefassten Meinungen zurück zu halten, selbst wenn man bereits sehr tief in ein Thema eingearbeitet ist. Quelle https://www.kokoro-aikido.de/%C3%BCber-uns/essays/shoshin/ , abgerufen am 13.07.2021

Dreizehntes Interview: Mu - Nicht(s). Ohne. Leere

Was ist das Nichts? Warum ist ein Zustand der Leere erstrebenswert? In unserer Kultur werden beide Begriffe synonym verwendet und stehen im deutschen Sprachgebrauch für „Nichts für etwas getan zu haben“, wenn etwas „Nichts-sagend“ ist oder ich „nichts dafür kann“. Und die Leere? Die ist eher beängstigend. Über die Bedeutung der beiden Begriffe im Budo sprach ich (NK) mit Sensei Duncan Underwood (DU).

NK: Lieber Duncan, unser erstes Interview war im Oktober 2017. Dabei ging es um die Frage, ob Aikido Kampfsport oder Kampfkunst ist. Erinnerst du dich noch daran?

DU: Ja, daran erinnere ich mich noch gut. Ist es tatsächlich schon so lange her?

NK: Ja, tatsächlich. Jetzt, 12 Interviews weiter und über vier Jahre später haben wir noch immer genug Themen. Du meintest einmal „Was du zu sagen hast, sagst du auf der Matte – bei der Meditation“. Die Interviews sind häufig weitergesponnene Gedanken-Fäden aus dem, was du in der Meditation gesagt hast. Worum geht es dir dabei?

DU: Ich finde es gut, Gedanken noch einmal zusammenzufassen, zu reflektieren und zu sortieren. Ein Interview ist eine hilfreiche Methode, um die Einzelaspekte mit einer gewissen Leichtigkeit noch einmal aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. In dieser strukturierten Art kann man sein Denken noch einmal fließen lassen, das ist bei unseren Themen doch sehr nützlich.

NK: Wie kommst du denn zu diesen Themen?

DU: Wenn wir uns hinsetzen zur Meditation weiß ich vorher nicht, was ich sagen werde, habe nichts vorbereitet. 90 Prozent ereignen sich spontan. Ich sage, was mir in diesem Moment gegeben ist. Die Sätze befinden sich im Fluss und entwickeln sich aus dem Inneren. Wenn ich sage, dass ich nichts vorbereitet habe meine ich nicht, dass es eine „faule Nummer“ ist, sondern nur, dass es nicht läuft wie bei einer  Präsentation. Gerade die Gedanken kommen zu lassen ist notwendig, um essentielle Dinge aussprechen zu können. Das Sagen des Unaussprechlichen gelingt mir am besten, wenn es intuitiv aus der Situation kommt, wenn das Zulassen des Denkens sich entwickeln kann.

Genauso läuft es bei den Interviews, da schlägst du ja immer die Themen vor. Ich verhalte mich spontan auf deine Fragen, um Authentizität, um das in-diesem-Moment-da-sein zu bewahren.

NK: Du meintest, dass es manchmal hilfreich sein kann, dem auf der Matte Gesagten etwas hinzuzufügen. So auch heute. Eines der letzten Meditationsthemen war MU – der Begriff steht im Zen für die Leere oder das Nichts – darüber wollen wir sprechen.

DU: Für das Nichts und den Begriff MU gibt es verschiedene philosophische Herangehensweisen. Doch spielen Begriffe und Beschreibungen für mich eigentlich keine Rolle. Sie binden einen, fesseln und lenken von dem ab, was wir jetzt machen und sind. Natürlich spielt MU eine bedeutende Rolle, weil MU alles beinhaltet, was die Lehre (mit „h“) bedeutet.

NK: Während das Nichts in der westlichen Kultur häufig bedrohlich wirkt steht es im Aikido auch für das „Nicht-Tun“, „Nicht-Denken“ etc. und ist elementar für das wirkliche Verständnis des Tuns, meinst du das? 

DU: Ja. NICHTS hat nichts zu tun mit Nichts-Tun im Sinne von unproduktiv sein, nicht zuträglich für intellektuellen oder wirtschaftlichen Fortschritt, es bedeutet nicht Rückschritt und ist nicht negativ. Die Erfahrung des MU durch das Nicht-Tun beim Sitzen während der Mediation führt dazu, dass etwas ganz anderes wahrgenommen wird, was nichts mit der Beherrschung der Welt zu tun hat. Bei uns geht es im Alltag immer um Kontrolle. So ist die Naturwissenschaft angelegt, das Berufsleben und bei manchen sogar die Partnerschaft. Dabei beinhaltet das NICHTS eine unglaubliche Vielfalt, die gerade Kreativität und Produktivität steigert. Eigentlich undenkbar…

NK: Die Leere ist ebenfalls ein wesentlicher Begriff im Buddhismus und steht ungefähr für „alles ist leer und frei von Dauerhaftigkeit und bedingt sich gegenseitig“. In der westlichen Kultur werden die beiden Begriffe NICHTS (MU) und LEERE häufig synonym verwendet. Wie siehst du das?

DU: Für mich sind es Begriffe, Beschreibungen. Die Inhalte sind ja schwer zu definieren. Begriffe sind immer nur Versuche, mental etwas Licht in die ansonsten rational nicht zu begreifenden Phänomene zu bringen. Letztendlich spielen sie keine Rolle, es sind nur Definitionen. Und welche Rolle sie in der Buddhistischen Lehre spielen, weiß ich nicht so genau. In dieser Tiefe bin ich nicht in diesen religiösen Gesetzen drin. Aber überzeugt hat mich das puristische SEIN des Zen, welches nicht darauf basiert, dass noch zehntausend Seiten darüber geschrieben wurden. Wichtig ist, dass Erfahrungen der Menschheit hinter all den von dir genannten Begriffen stecken. Die wurden im Zen gelebt und weitergegeben. Und wenn genau die nicht so lebendig gewesen wären, diese tiefen Erkenntnisse nicht so faszinierend und für das Leben so ungemein zuträglich, hätten sie nicht die Zeit überdauert. Zwar wurden überall auf der Welt Dinge mit unterschiedlichen Semantiken aufgeschrieben, doch zu oft hoch sophisticated. Das kann auch trügerisch sein. Muss es aber natürlich nicht unbedingt. Ich will hiermit nicht sagen, dass man den Verstand aussetzen soll. Ganz und gar nicht. Aber für die ganze Wahrnehmung unserer Welt, gehört mehr dazu als nur das Logos.

Bei der Entstehung der Bibel war es wohl ähnlich. Auch dort stritten sich die Gelehrten über die Schriften, vielleicht haben sie sich auch über Begriffe gestritten, vielleicht auch über NICHTS und LEERE. Aber Jesus brauchte das nicht. Er war einer, der den Sinn dahinter unmittelbar verstanden hat; er kann nicht hoch genug geachtet werden, weil er nahezu barrierefrei Zugang zum Wissen, Zugang zu dem, was DA ist, hatte. Doch jetzt geht’s ja nicht um den christlichen Glauben oder Gottes Sohn sondern darum, dass Begriffe immer gut zum Streiten sind, weil sie viele Interpretationen ermöglichen. Daraus folgt, dass man recht haben will, aber das tiefe innere Verständnis steht dann nicht mehr im Vordergrund. Also: es ist nicht wichtig, ob NICHTS oder LEERE das gleiche sind oder nicht. Ob sie unterschiedliche Nuancen oder andere Aspekte beschreiben oder nicht.

MU beschreibt den Gesamtzustand des Leer-Seins, bedeutet eine große innere Stabilität ohne Festigkeit, Rigidität. Gleichzeitig ist MU ein Hilfsmittel, da es Bilder beinhaltet und erzeugt, die zwar für den Weg hilfreich sein können, aber auch ablenken und in die Irre führen können. Doch es heißt: „Du musst das MU aufessen“. Wenn Du es verinnerlicht hast, es eins mit Dir geworden ist, ist es gut. Sonst stellt es sich dir in den Weg. So ist es auch mit den Beschreibungen des tieferen Wahr-Seins. Sie können es erlebbar und erfahrbar machen, aber nicht, indem man sie aufschreibt. In diesem Sinne ist MU auch nur ein Hilfsmittel. Jeder Begriff muss aufgegessen und verdaut werden. Das DA-SEIN als solches braucht Beschreibungen nicht, da sie Barrieren sein können, wenn wir an ihnen festhalten.

Das NICHTS, das MU, die LEERE können subsummiert werden unter los-lassen, alle diese Begriffe sagen: lass los! Akzeptiere das Dasein. Das ist für unseren Alltag wahnsinnig hilfreich. Genau das ist es, was für viele die Faszination ausmacht, Mut macht, stimuliert und mehr als Erdverbundenheit gibt. Genau das ist der Punkt: Wir Menschen brauchen positive Unterstützung. Und ein Werkzeug das uns das Aufschließen des inneren Auges ermöglicht. Das ist die Aussage des Zen. Den Anfang muss jeder mit sich selbst machen. Ohne diesen „egoistischen“ Schritt sich mit sich selbst auseinander zu setzen, wird der nächste nicht gelingen. Nämlich das große eingebunden sein im universellen Geschehen. Dabei bleibt der Alltag der gleiche, aber die eigene Sichtweise ändert sich. Der Alltag wird gangbarer, gibt dem Leben einen positiven Grundton. Das los-lassen ist alltagstauglich.  

Wenn man zig Begriffe unterscheiden kann, aber die Größe des Universums nicht begreift und nicht entdeckt in welchem wahnsinnigen Zusammenhang wir leben, hat man nichts gewonnen. Die Bedeutung des Daseins ist das DA-Sein.

NK: Lieber Duncan, ich danke dir für das Gespräch.