Aikido

Budo ist der Überbegriff für die alten Kampfkünste und vor allem deren Grundlage. Diese beinhalten nicht nur die Beherrschung der Techniken, sondern auch das Erlernen der Kontrolle über das eigene Ich und dem sich Überlassen einer größeren Kraft. Dadurch erlangten die Samurai die Fähigkeit, ohne Angst vor dem Sterben bedingungslos zu kämpfen. Die innere Größe, die dadurch entwickelt wird, schlägt sich sichtbar in den verschiedenen von ihnen ausgeübten Künsten nieder (z.B. Kaligraphie, Malerei, Dichtung, Teezeremonien).

Aikido ist eine der modernsten Kampfkünste. Es wurde in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts vom Großmeister Morihei Ueshiba entwickelt, basierend auf überlieferte Kampfkünste der Samurai, vor allem dem Daitoryu Aiki Jiujitsu. Das Aikido steht in seinen Techniken diesem sehr Nahe und stellt eine Weiterentwicklung dieser sehr alten Kampfkunst dar.

Meister Ueshiba war ein sehr religiöser Mensch und nachdem er tiefe geistige Erfahrungen erlebt hat, wurde ihm klar, dass das Zusammenleben und Wirken der Menschen in seinen Grundtiefen nicht auf Konfrontation und Krieg beruht, sondern getragen wird von der großen Kraft der göttlichen Liebe. Durch dieses Erleuchtungserlebnis angetrieben versuchte er das Budo seiner, wie er meinte, eigentlichen Bestimmung zuzuführen.

Da das Daitoryu doch einen kriegerischen Hintergrund und den Sieg über einen etwaigen Gegner als Grundlage hat, war es für Ueshiba wichtig, seine Kampfkunst auf eine andere Ebene zu heben. Er hat das erreicht, indem er aus den sehr direkten, eher auf sofortiger Beendigung ausgelegten Techniken des Daitoryu, ein eher konfliktlösendes Prinzip entwickelt hat.

Das „Ki“ in Aikido

Bei der Kampfkunst Aikido kam es Meister Ueshiba im Wesentlichen darauf an, die Grundkraft des Universums, nämlich das Prinzip der göttlichen Liebe, zum Ausdruck zu bringen, ohne dass der Charakter des Budo verloren geht. Die Konfrontation durch den Angreifer wird durch ein Aufnehmen der entgegenkommenden Energie in kreis- und spiralförmige Bewegungen neutralisiert.

Eine aggressive Ausrichtung von Seiten einer angreifenden Kraft soll möglichst ohne Vernichtung des Angreifers aufgelöst werden. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um Schläge, Tritte oder Griffe handelt. In seiner höchsten Form bedeutet Aikido dann ein erst gar nicht Zulassen der Aggression.

Aikido trainiert die verschiedensten Fähigkeiten. Auf der einen Seite stärkt Aikido die allgemeine Koordination, Geschicklichkeit und auch Kondition. Auf der anderen Seite wird die Kraft der eigenen Mitte durch das „Ki“ (fließende Lebensenergie) bewusst gemacht. Der Mensch wird in seiner Gesamtheit erfasst und gefördert.

Für euch gefragt

Alexander Plaschko ist seit 35 Jahren Judoka, Sumotori und Interims-CFO, CRO und CEO für mittelständische Unternehmen. Bei seinen weltweiten Einsätzen hat er eine Methode der Führungskräfteentwicklung und Unternehmensführung entwickelt, die auf den Prinzipien der japanischen Kampfkunst Budo aufbauen. Hierüber hat er ein Buch geschrieben. Mit Nicole Knudsen sprach der Autor über den Kern seiner Methode: Den Ausgleich von gegensätzlichen Führungsprinzipien wie Wettbewerb und Kooperation, Fokus und Vergessen, Regulierung und Gestaltung. Das ganze Interview findet ihr hier zum download.

Für euch gelesen

Hier findet ihr in loser Folge Bewertungen von Nicole Knudsen zu Büchern über Budo im Allgemeinen, Aikido im Speziellen und anderen verwandten Themen. Die Liste wird unregelmäßigen Abständen ergänzt. Solltet ihr eines der besprochenen Bücher leihen wollen, meldet euch bitte.

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Rezension Nummer Drei: Hugo M. Enomiya-Lassalle / ZEN-Unterweisung
Die dritte Buchbesprechung behandelt – laut Buchrücken – ein Standardwerk. Hugo M. Enomiya-Lassalle, Jesuit, Religionsphilosoph, Missionar und ZEN-Meister, publizierte zum ersten Mal seine Einleitungen in die ZEN-Meditation. Der Autor will mit seinem Buch nicht weniger als zur Verbreitung eines neuen Bewusstseins beitragen. Sicherlich ist er dazu nach fünfzig Jahren Praxis sehr gut in der Lage. Seit mehr als zwanzig Jahren leitet Lassalle Meditationskurse in Japan und Europa. So ist dieses Buch entstanden: aus den Vorträgen und Anweisungen eines siebentägigen ZEN-Kurses.

Ich fange hinten an. Der Anhang besteht aus zahlreichen Bildern und Erklärungen vom rechten Sitzen und Atmen. Vielleicht sollte der Leser, insbesondere der in der ZEN-Meditation noch ungeübte, dieses zuerst lesen. Dann folgen – für jeden der sieben Kurs-Tage – die Beschreibungen wachsender Erkenntnisstufen und die Eindrücke der Teilnehmer.

Lassalle geht in seiner Meditation einen sehr spirituellen Weg. Ziel seiner Meditation ist die absolute Erleuchtung. „Satori (Erleuchtung)“ gehört zu den am häufigsten benutzten Worten, was den sehr hohen Anspruch des Autors deutlich macht. Er duldet keine Kompromisse.

Nicht nur vor dem Training finde ich Meditation im Zazen hilfreich, um MU zu verstehen oder KI zu sammeln. Dieses gelingt mal mehr, mal weniger gut. Das Wichtigste dabei ist jedoch das Sitzen. Nichts tun. Nichts denken. Nur sein. Und obwohl man doch nur sitzt, für Außenstehende völlig inaktiv und ineffizient, sammelt man Kraft, die einem nicht allein gehört. Eine schöne Erfahrung. Doch man fängt nicht an zu schweben, verfällt nicht in Trance. Erdet sich und lässt geschehen, doch wird nicht: erleuchtet. Vielleicht ist es mein fehlender Ehrgeiz, der mich beim nur-sitzen zufrieden sein lässt, kein Streben nach irgendetwas, auch nicht nach Erleuchtung. Das mag der Grund sein, warum mich dieses Buch nicht so sehr anspricht wie andere. Andere haben vielleicht andere Erfahrungen gemacht.

Für jeden hat Meditation eine andere Bedeutung und so gibt es so viele „Konzepte“ wie es Meditierende gibt, nur kein richtig oder falsch. Jeder meditiert anders vor dem Training, vor der Arbeit oder zwischendurch, ganz nach seiner Fasson. Der eine strebt nach Höherem, der andere sitzt einfach nur da. Ich sitze.

Empfehlung: sehr anspruchsvoll.

Gelesen, bewertet und beschrieben von Nicole Knudsen

Rezension Nummer Eins: Taisen Deshimaru-Roshi / ZEN in den Kampfkünsten Japans

 

Die erste von mehreren in loser Folge kommenden Rezensionen zu Büchern über Budo, Zen und verwandten Themen behandelt Deshimaru-Roshi`s Buch über „ZEN in den Kampfkünsten Japans“. Ein anspruchsvoller Einstieg. Die deutsche Erstausgabe ist von 1978, heute ist das noch immer hochaktuelle Buch nur noch antiquarisch zu bekommen. ZEN-Meister Taisen Deshimaru-Roshi (TDR) gibt darin seine vertiefenden Ansichten darüber weiter, dass „Budo“ nicht ohne „DO“ oder Zazen gesehen werden kann– eine Schriftreihe entstanden im Nachgang zu einem ZEN-Seminar in der Schweiz, herausgegeben von Marc de Smedt (MdS). Zahlreiche vom Meister selbst verfasste Kalligrafien unterstreichen die Vielheit von DO. Das Buch ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Standardwerk geworden – ein Muss für jeden Budoka, der sich auf den langen Weg zu einem tieferen Verständnis japanischer Kampfkünste macht. Ein Weg, der letztendlich zu einem selber führt und auf dem es kein Ankommen gibt.

Zum Inhalt:

Kapitel 1: Bushido – der Weg des Samurai

TDR beschreibt die Komplexität des „Weg des Kriegers“: Im Bushido liegt der Beginn von allem: das Unterrichten der Budo-Techniken, begleitet von tradierter Morallehre und einer Lebenseinstellung mit ihrem Ursprung im Buddhismus und Shintoismus. Dass bereits auf den ersten Seiten vom Nicht-Ich gesprochen wird, einem alles-durchdringenden Geist und dem Kern des Zazen darf den Leser nicht abschrecken. Zu hilfreich sind die folgenden Erläuterungen wie es gelingen kann, seinen Geist zu lenken. Denn darin besteht das Geheimnis der Kampfkünste – den Augenblick, das „Jetzt“ völlig durchdringen zu können.

Kapitel 2: Mondo 1 (mit Sensei im Gespräch)

In kaum einer anderen Erzählform als dem Mondo wird deutlicher, wie Sensei denkt. So gelingt es dem Leser leicht, sich wie ein stiller Zuhörer neben MdS und TDR zu setzen und der Unterhaltung zu folgen. Im ersten Mondo geht es im Wesentlichen um die Frage, was wichtiger sei: Shin (Geist), Waza (Technik) oder Tai (Körper). Natürlich ist die Einheit von Geist, Körper und Technik essentiell, doch Shin steht über allem. Die Technik muss intuitiv und absichtslos sein, nur so entfaltet sie ihre volle Wirkung. Körper und Bewusstsein müssen sich vereinigen, eins sein im Jetzt, nur so kann Nage reagieren bevor Ukes Angriff erfolgt. Doch ohne Shin bleibt es BU ohne DO.

Kapitel 3: Bun Bu Ryodo – der zweifache Weg

Wenn man Zazen übt, übt man DO. Doch wie macht man das: DO üben? Einfacher wird es vielleicht, wenn man Zazen übt, denn hier gibt es (wenigstens) eine Technik, Waza: die Konzentration auf Haltung des Körpers, Haltung des Geistes und die richtige Atmung. Zazen muss mushotoku sein, also ohne Zielvorstellung und Streben nach einem Nutzen. TDR beendet das Kapitel hoffnungsvoll: wenn man nur fortgesetzt (Jahrzehnte) Zazen übt, erschließt sich das Geheimnis von DO fast automatisch. Viel Raum nimmt KI ein und verbunden damit die richtige Atmung. Jeder Budoka weiß, dass man beim Einatmen am verletztlichsten ist und der finale Akzent einer Technik nur beim Ausatmen gelingt, das gilt selbstverständlich für Nage ebenso wie für Uke. So hört man den leisen Appell zwischen den Zeilen, mehr KiAi zu üben.

Kapitel 4: Mondo 2 (mit Sensei im Gespräch)

Als Leser stutzt man zu Beginn dieses Kapitels. Es nimmt eigentlich nicht den Faden der ersten Kapitel auf sondern fängt quasi an einer anderen Stelle neu an – gefühlt liegt diese Stelle gedanklich deutlich vor dem, was man sich als Leser schon „erarbeitet“ hat. Bis man zu der Stelle kommt, an der MdS fragt: „Was ist Angst?“ und Sensei erstaunt antwortet „Angst?“ So, als müsste er wirklich genau überlegen, was es mit dieser Vokabel auf sich hat. Und dann folgen die Erklärungen zu KI und MUSHIN, dem Nichts. In seiner Vollendung vereinen sich Körper und Geist, das Leben und der Tod. So etwas wie Angst scheint sich darin zu verlieren.

Kapitel 5: Leben und Tod

Im Leben der Samurai hatte der Tod eine andere Bedeutung als für uns heute. Zumindest der allgegenwärtig körperliche. Doch gemeint ist hier etwas anderes. Etwas, das in einem sterben muss um wahre Lebenskraft zu finden. Etwas, das ohne Zazen nicht gelingen kann. Etwas, für das es keine Sprache gibt sondern weitergegeben wird von Seele zu Seele.

Taisen Deshimaru-Roshis Buch „ZEN in den Kampfkünsten Japans“ ist eine kleine Offenbarung, kein Werk für Zwischendurch, ist keine leichte Lektüre, die sich zum schnellen Lesen eignet. Eigentlich ist dieses Buch echte Arbeit, will man in die Gedanken Deshimaru-Roshis eintauchen. Echte Arbeit wie ein ernst genommenes Aikido-Training. Man muss das Gehörte Üben, bis sich ein Verständnis entwickelt für das „Große Ganze“. Und DO beschreiten.

Gelesen, bewertet und beschrieben von Nicole Knudsen

Rezension Nummer Sechs: Jäger, Zölls, Poraj / ZEN im 21. Jahrhundert
Was hat ZEN mit Aikido zu tun? Oder mit Budo? Gehört die Beschreibung dieses Buches – geschrieben von drei Autoren – hierhin? Irgendwie schon, wie ich finde. Budo hat naturgegeben seine Wurzeln im Buddhismus oder Shintoismus, ist geprägt von einer Welt, die nichts mit unseren Kontexten oder Konzepten zu tun hat, entstanden als Kriegskunst in einer fernöstlichen Spiritualität. ZEN hat dort ebenfalls seinen Ursprung. Beide haben ihren Weg durch Raum und Zeit zu uns gefunden.

Der erste Autor, Willigis Jäger, Schüler der japanischen Sanbo-Kyodan-Schule und seit 1996 ZEN-Meister, will mit diesem Buch nach eigenen Aussagen ZEN als transkonfessionelle spirituelle Praxis etablieren. Das wird gleich an mehreren Stellen deutlich, immer wieder legt er Augenmerk darauf, dass ZEN nicht zwangsläufig zu einer fernöstlichen Spiritualität gehört (und schon gar nicht mit dem Buddhismus verheiratet ist), sondern ebenso einen hilfreichen Baustein für christliche / westliche Religionen darstellt.

Mit zahlreichen Allegorien und Sinnsprüchen macht Jäger deutlich, was die Essenz seines ganz eigenen ZEN-Weges ist, angefangen bei der Sinn-Suche, nicht endend bei der kosmischen Einheit.

Im zweiten Teil des Buches, geschrieben von Doris Zölls, geht es unter anderem um den Wunsch nach mehr Achtsamkeit in und mit allem. Dieses zu lernen ist der Nukleus im ZEN. Damit wird dieses Buch wieder hochaktuell, der Ruf nach mehr Achtsamkeit zieht sich schon seit Monaten durch die zeitgenössische Literatur, mehr als fünftausend Titel listet ein online-Buchhändler zu diesem Schlagwort auf, mehr als dreihundert Kalendertitel wollen, dass Achtsamkeit uns durch das Jahr begleitet. Eine Modeerscheinung vielleicht oder ein Gegenentwurf zur vermehrt auftretenden Individualisierung.

Nach Zölls zumindest nichts, was sich auf Seminaren oder aus dem reinen Lesen erlernen lässt. Vor einem konstruktivistischen Hintergrund zeigt nur Erfahrung den Menschen den Kern der (buddhistischen) Achtsamkeit. Auch dieses Kapitel ist gespickt mit zahlreichen Beispielen aus der japanischen Spiritualität und Zitaten konfessionsübergreifender Vordenker.

Der dritte Teil ist ein sehr persönlich in Ich-Form geschriebener Beitrag von Alexander Poraj. Er beschreibt, wie er auf seiner Sinn-Suche durch die christliche Spiritualität mäandrierte, doch letztendlich daran scheiterte, dass ihn diese immer weiter – von ihm weg – hin zu einem „Subjekt Gott“ führen wollte. Ein projiziertes Subjekt, was nur außerhalb seines (des Autors) eigenen Selbst lebte. Selbst in der christlichen Mystik mit ihrem Ansatz des Gottes in uns, fand der Autor nicht die erhofften Antworten – bis er auf den ZEN-Weg Jägers stieß. Und ihm deutlich wurde, dass er seinen Sinn des Lebens nicht in etwas „außerhalb“ fand, sondern in sich selbst. ZEN ist im Gegensatz zum christlichen Ansatz also ein höchstpersönlicher, individueller Weg hin zu der bereits in den vorherigen Rezensionen erläuterten Selbst-, Absichts- oder Ich-Losigkeit.

Das macht ZEN für den Leser, der von christlich-westlicher Kultur geprägt ist, zu etwas sehr Egoistischem. Während hier Altruismus und Nächstenliebe prioritär sind, ist es dort die individuelle Suche nach Erkenntnis.

Da ZEN nach der Meinung der Autoren also nichts „Erlerntes“ sein, nicht auf ein altes Leben aufgesetzt oder drübergestülpt werden kann, sondern ein zu erfahrender Moment des „Eins-Seins“ im Jetzt bedeutet, stellt sich auch nicht die Frage, ob sich ZEN in den Alltag integrieren lässt. ZEN ist ein untrennbar vom Alltag zu erfahrenes Lebensmodell.

Empfehlung: Enthält Impulse für Suchende.

Gelesen, bewertet und beschrieben von Nicole Knudsen

Rezension Nummer Zwei: Georg Schrott / Ohne Schwert und ohne Dogma
Für die zweite Buchbesprechung liegt Georg Schrotts „Ohne Schwert und ohne Dogma“ vor mir. Der Untertitel ist es, der neugierig macht. „Innere Lernprozesse auf dem Weg des Aikido“.

Was als erstes auffällt ist der Aufbau des Buches.

Zwei Senseis bieten ihre Hilfe bei dem inneren Lernprozess an. Shikyo Sensei („Meine Schüler sind mir heilig“) und Fushi Sensei („Offene Weite – nichts Heiliges“). Sie geben sich die Ehre, in loser Reihenfolge, mal jeder für sich, mal im Dialog.

Zum Einstieg in jedes Kapitel meldet sich eine innere Stimme zu dem jeweiligen Thema, meistens ein kleingeistiger, nerviger Kobold („ich bin sowieso wahlweise der Stärkste, der Schönste, der Beste, weiß genau wies geht…“); ich weiß nicht, ob er dem einen oder anderen Budoka beim Training unsichtbar auf der Schulter sitzt: ich bin ihm zum Glück lange nicht mehr live begegnet, zumindest erinnere ich mich nicht mehr daran. Am Ende eines Kapitels meldet sich dann eine andere Stimme – unverkennbar ein Senpei oder Sensei – mit klug gewählten Worten, die Kobolds Gedanken aufnimmt und – auflöst. Und schon lebt Budo: Aufnehmen, Einswerden, Auflösen. Dazwischen nimmt Georg Schrott den Leser an die Hand, täuscht ihm banale Erkenntnisse vor und führt ihn letztendlich doch konsequent zu tieferen Einsichten. Der gesamte Lernprozess des Budo zwischen zwei Buchdeckel („Hier ist Jetzt ist Eins“): Man sollte sich Zeit nehmen beim Lesen.

Zum Inhalt:

Der Autor verspricht nichts, sagt er. Doch ist das tiefgestapelt, was der Leser aber erst später merkt. Nach der Einführung wird im zweiten Kapitel der „innere Uke“ beschrieben. Dieser ist dem kleinen Kobold recht ähnlich, der alle Kapitel einleitet. Viele Budoka bringen ihren inneren Uke (oder ihre inneren Uke, nicht selten sind es gleich mehrere) mit ins Dojo und wären sie alle sichtbar, wäre es recht voll auf der Tatami. Der innere Uke sieht in seinen Partnern Konkurrenten, möchte gern perfekt sein, alles unter Kontrolle haben und versteht das Training letztendlich als Kampf. Dort endet auch sein Weg. Irgendwie AIKI ohne DO. Die innere Stimme am Ende des Kapitels übers Kämpfen besänftigt. „Sei dankbar für deinen Kampfeswillen“ sagt sie und ermuntert den inneren Uke, ihm Klarheit an die Seite zu stellen, Gelassenheit und Vertrauen. Das Beispiel ist typisch für die Idee des Buches. Schrott weiß, dass jeder Budoka anders ist, andere Stärken und Schwächen hat, und er lädt jeden ein, sich auf den WEG zu machen, auch wenn dieser für jeden anders aussehen wird, für jeden andere Wahrheiten bereit hält. Gleichzeitig warnt Schrott davor, seinen WEG ohne Lebendigkeit zu gehen, „gemacht“ Heiligem Raum zu geben, blind Vorbildern nachzueifern. Fushi Sensei zitiert an dieser Stelle Zenmeister Rinzai: „Wenn du Buddha triffst, töte ihn“ (Hugo M. Enomiya-Lassalle / ZEN Unterweisung).

Der innere Uke muss nicht die Deutungshoheit über unser Leben erlangen – und schon gar nicht behalten.

Ihm an die Seite gestellt ist der innere Nage. Wie beim inneren und äußeren Uke betont Schrott auch beim inneren und äußeren Nage SHIN, WAZA und TAI: nur ihre vollkommene Einheit schafft die rechte Handlung. Alles drei muss geübt werden, immer wieder und wieder, von allen inneren und äußeren Ukes und Nages . WAZA und TAI im Training („schleifen und polieren“), SHIN in der Meditation. SHIN, WAZA und TAI – Für alle braucht man gute Lehrer, um die Einheit herstellen zu können. Das Gute daran: man hat Zeit, sozusagen das ganze Leben.

Was SHIN und die inneren Lernprozesse angeht macht der Autor im letzten Kapitel Riesenschritte. Man kommt als Leser schon mal aus der Puste, muss stehen bleiben und Atem holen, auf sein Herz hören. Und doch ist es genau dieses Kapitel, welches den inneren Lernprozess beflügelt. Gegenwärtigkeit, Achtsamkeit, Bewusstheit, Shoshin (Der Geist des ersten Mals), Zanshin – auch wenn man diesen Geist des Budo vermeintlich kennt, mitgerissen im Strudel der Erkenntnisse bleiben immer wieder andere Dinge haften, verknüpfen sich Erinnerungsbilder neu, der Geist trifft beim Lesen viel bekanntes, doch ist alles neu, alles ist HIER und JETZT. Insbesondere, wenn die Tiefen mentaler Elemente der Aikido-Praxis folgen: MU. Die Auseinandersetzung mit der Profitlosigkeit, der Feindlosigkeit, der Ich-Losigkeit, des Nicht-Tuns und des Nicht-Geistes. Wenn wir uns von Anhaftungen aus Effizienz-Denken und Erfolg, Ergebnisorientierung und Funktion befreien, innerhalb und außerhalb des Dojo die LEERE, das NICHTS willkommen heißen – erst dann können wir Los-Lassen und Ge-Lassen durchs Leben und zum nächsten Training gehen.

Nur eines fehlte mir hier wie in so vielen anderen Büchern über Budo und Aikido. Es taucht kein einziges Mal das Wort Fröhlichkeit auf. Gleich gehe ich mit großer Freude zum Training („schleifen und polieren“), akzeptiere was ist. Und hab einfach Spaß.

Empfehlung: absolut lesenswert

Gelesen, bewertet und beschrieben von Nicole Knudsen

Rezension Nummer Vier: Dirk Kropp und Christina Barandun / Aikido – die friedfertige Kampfkunst zur Persönlichkeitsentfaltung
Eigentlich haben wir´s doch gewusst: Aikido (oder besser: Budo) ist mehr als reine Gymnastik. In der vierten Besprechung geht es in dem Buch von Dirk Kropp und Christina Barandun genau darum: Budo um Gelassenheit, Stärke und Harmonie zu finden, zur Charakterbildung und Bewusstseinsschulung.

Folgerichtig fängt das Buch dann auch an mit Meditation – doch statt mit Zazen beginnt es wohltuend mit dem Gespür für den eigenen Körper durch Bewegungsmeditation. Diese Form der sanften Vorbereitung auf das Training wird in vielen Dojos zu Unrecht vernachlässigt. Hinweise zum richtigen Atmen und der richtigen Haltung geben dem Anfänger einen sehr schönen Einstieg und dem Fortgeschrittenen ein hilfreiches Wiederentdecken von Altbekanntem.

Wer dann detailreiche Beschreibungen von Aikido-Techniken erwartet, wird enttäuscht. Es geht im Weiteren viel mehr um das eigene Ich, mehr um Formen als um WAZA, um die Etikette im Dojo und das harmonische Miteinander von Uke und Nage. Das Autorenduo beschreibt mit einem gewissen Ernst in der Sache Aikido-Basiswissen und achtet auf die Übertragbarkeit auch außerhalb des Dojos. Dieser Schwerpunkt ist konsequent gewählt, so lässt sich allein anhand der Kapitelüberschriften („Gespür für sich“, „Selbstsicherheit“, Bescheidenheit“, „Gelassenheit“ usf.) nicht ableiten, dass man es mit einem Aikido-Buch zu tun hat. Am Ende jeden Kapitels werden die vorher beschriebenen Kernthesen zusammengefasst.

Die Autoren verstehen Aikido als eine den Menschen formende, gewaltlose Kampfkunst. Wer sich mit dieser Interpretation identifiziert wird das Buch mögen. Fazit: Viel DO, weniger BU, die Autoren verfolgen zweifellos einen Erziehungsauftrag – hin zu einem gewaltlosen, friedfertigen Menschen, einer „gesunden Charakterbildung“.

Mir ist bis jetzt noch kein Budo-Buch untergekommen, welches den Spaß betont, den man beim Training im Dojo hat. Das Gefühl, dass einem das Herz aufgeht, wenn man still und voller Freude trainiert. Wenn Ukes Angriff beherzt kommt, ernst gemeint und die Verteidigung effektiv, klar und scharf ist. Ja, auch harmonisch, sonst kann KI nicht wirken, können Uke und Nage nicht verschmelzen, aber Aikido ist Kampfsport – kein Tanz.

Empfehlung: ein schönes Einstiegsbuch.

Gelesen, bewertet und beschrieben von Nicole Knudsen

Rezension Nummer Fünf: Michael von Brück / Religion und Politik im Tibetischen Buddhismus
Ein unerwartetes Buch steht als nächstes auf der Liste der Rezensionen. Eigentlich hat das Werk von Michael von Brück nichts mit Budo zu tun. Scheinbar. Und doch ist es an dieser Stelle richtig. Die Wurzeln des Budo liegen im Buddhismus und Shintoismus. Buddhismus – Tibet – Dalai Lama – für viele gehören diese Vokabeln untrennbar zusammen; insbesondere der friedliebende 14. Dalai Lama prägte in Deutschland das Bild einer von Harmonie und Liebe beseelten Religion. Ist das zu kurz gesprungen? Vielleicht ist es für den einen oder anderen Leser hilfreich, sich mit dem Kontext des Buddhismus` auseinanderzusetzen. Dieser Kontext muss historisch betrachtet werden und das gesamte Soziogefüge umfassen – inklusive der sich zur Religion parallel entwickelnden politischen Rahmenbedingungen. Auch wenn der Schwerpunkt des Buches im tibetischen tantrischen Weltbild liegt, ist es doch geeignet, beispielhaft für diesen Kontext zu stehen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Autor, Religionswissenschaftler und seit mehreren Jahrzehnten Dialogpartner des 14. Dalai Lama, räumt auf mit der Mystifizierung einer feinstofflichen Religion deren Anhänger durchweg friedliebende Mönche waren.

Der erste Teil des Buches beginnt mit der schwierigen Phase der ersten Christianisierungsversuche im 13. Jahrhundert, die geprägt waren von westlicher Projektion katholischer Kulturen und das Bild des Dalai Lamas noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts als ein „die Weltherrschaft anstrebender“ papstgleicher Religionsführer beeinflussten. Das machte Tibet für die Missionare nicht eben sympathisch. Bis heute hat der Buddhismus für die Tibeter einen anderen Stellenwert als das Christentum für den säkularisierten Westen. Er ist von dem tiefen Verständnis durchzogen, dass jeder Mensch „Buddhaschaft“ in sich trägt und nur so das a priori leidvolle Leben erträgt – was wiederum zu einer gewissen gelasseneren Mentalität führt.

Weiter geht es mit der Beschreibung der wechselhaften Geschichte Tibets und den zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen. So erfasst der zweite Teil des Buches chronologisch die Geschichte des dünn besiedelten Landes, welches doch für zahlreiche (mongolische und chinesische) Besatzer attraktiv erschien, mal von der einen Seite, mal von der anderen Seite und mal stellvertretend von einen Dritten als Schauplatz machtpolitischer Konfrontation diente . Doch auch ohne äußere Einflüsse war das Land nicht einheitlich, hatte keine homogenen Strukturen und war keineswegs durchweg harmonisch, schon gar nicht im Umgang mit den Dalai Lamas. Erst der 14. Dalai Lama modernisiert das Land, verhilft zu einem normaleren Frauenbild und schafft es durch seine Ausstrahlung und seine Betonung der Grundfesten „Weisheit und Barmherzigkeit“, weltweit Sympathien für sich, Tibet und den Buddhismus zu erzeugen.

Das dritte Kapitel taucht ein in die Tiefen des tantrischen Buddhismus, spätestens hier trifft der Budoka alte Bekannte. Leere, Ich-Losigkeit, die Verbundenheit mit allem und die daraus sich ergebende Buddhaschaft sind nur einige. Das vierte Kapitel erläutert dann all die anderen ebenso gegenwärtigen Gottheiten und beschreibt die sich daraus ergebenden Loyalitätskonflikte. Für dieses Kapitel muss der Leser schon ein gehöriges Verständnis für tibetische Konnotation und Linguistik mitbringen, ansonsten verliert man sich schnell – oder eilt weiter zum letzten Kapitel, dem Interview mit dem 14. Dalai Lama. Und hier scheint sich das Bild wieder zurecht zu rücken, das sich heute in unseren Köpfen formt wenn wir von Buddhismus reden. Im Dialog mit dem Autor spricht der 14. Dalai Lama über Gewaltlosigkeit, Verantwortung der Religionen und den Weltfrieden. Dann ist alles wieder gut und der Leser nach diesem Parforceritt durch die Geschichte eines kriegerischen, gewaltgeprägten (buddhistischen!) Patriachats wieder mit sich im Reinen.

Empfehlung: hilfreich.

Gelesen, bewertet und beschrieben von Nicole Knudsen

Rezension Nummer Sieben: Miyamoto Musashi / Fünf Ringe - die Kunst des Samurai-Schwertweges
Um die Kunst des Schwertweges des Samurai-Meisters (und nach eigenen Angaben erfolgreichsten Schwertkämpfers seiner Zeit) Miyamoto Musashi geht es in diesem Buch. Musashi begründete im 17. Jahrhundert seine eigene Schwertschule (Nito-Ichiryu), die er die „Fünf Ringe“ (Gorin-no-sho) nannte. Dahinter verbergen sich Techniken, die der Meister der Erde, dem Wasser, dem Feuer, dem Wind und der Leere zuordnete. Der Buchrücken spricht davon, dass der Leser sich diesen Anweisungen öffnen soll, um Erkenntnisse über Strategie, Planung und Selbstanalyse zu erhalten.

Stutzig gemacht hat mich der letzte Absatz des Buchrückens, der das Buch jedem empfahl, der seinen Weg direkt gehen und schnell und effektiv lernen will. Kann Effektivität und Schnelligkeit Sinn des Schwertweges sein? Was ist ein direkter Weg? Ich habe es trotzdem gelesen.

Das Vorwort des Übersetzers und die Vorrede Musashis besänftigten mich etwas. Der Hinweis, dass Samurai auch immer andere „Wege“ beschreiten sollen, zum Beispiel den Tee-Weg (Cha-Do) oder den Schreib-Weg (Sho-Do), wird unterstrichen durch zahlreiche Kalligrafien des Meisters, die das Buch aufwerten. Dann folgen die Anweisungen des Meisters. Im Buch Erde beschreibt er den Hintergrund seiner Schule, geht auf Waffen ein und betont die Wichtigkeit des Übens. Den Abschluss des Kapitels bilden neun Regeln: Von „Sei nie arglistig in deinen Gedanken“ bis zu „Unternimm nichts Nutzloses“.

Im Buch Wasser folgen auf kurze Erläuterungen zum Auftreten und Haltung eines Kriegers dann die Beschreibungen der Techniken. Wer jetzt die spirituellen Hintergründe der verschiedenen Schwertübungen erwartet, wird enttäuscht. So wie ich. Ich hatte übersehen, dass Musashi ein Samurai des 17. Jahrhunderts war. Als Kind seiner Zeit lag sein Augenmerk auf Kampf in „echten“ Auseinandersetzungen. Die Positionen und Hiebe des Langschwertes sollten vor allem eins: schnell Töten. Wem das zu wenig ist, braucht hier eigentlich nicht weiterzulesen. Das Buch Feuer knüpft direkt daran an, es beschreibt verschiedene Taktiken mit dem Ziel eines siegreichen Endes im Krieg. Im Buch Wind offenbart sich Musashi dann eher als rechthaberisch, der unversöhnlich seine eigene Schule als die einzig richtige interpretiert und begründet ausführlich, warum andere Schulen ungeeignet sind. Als Leser hat man eher den Eindruck, dass der Autor hier psychische Defizite verarbeitet. Das letzte Buch Leere besteht nur aus zwei Seiten, auf denen man natürlich keine tiefer gehende geistige Klarheit erwarten kann. Die Sätze bleiben oberflächlich und banal.

Und so endet das Buch.

Hilfreich allein ist dann der ausführliche Kommentar, der durch seine aufschlussreichen Kontextbeschreibungen doch noch etwas versöhnt. Vielleicht hätte man diesen an den Anfang stellen sollen.

Empfehlung: Musashi ist ein Kind seiner Zeit. Er beschreibt das Überleben eines Samurai im 17. Jahrhundert. Nicht mehr, nicht weniger. Wer tiefe spirituelle Erkenntnisse über den „Weg des Schwertes“ sucht oder sein Verständnis hierfür ergänzend zum Schwerttraining erweitern möchte, sollte ein anderes Buch wählen.

Gelesen, bewertet und beschrieben von Nicole Knudsen

Rezension Nummer Acht: Horst Tiwald / Psycho-Training im Kampf- und Budo-Sport sowie weitere Veröffentlichungen des Autors
Der Autor, inzwischen verstorbener Universitätsprofessor für Allgemeine Theorie des Sports (mit dem Schwerpunkt „Sozialphilosophie und Psychologie“) an der Universität Hamburg, schrieb mehrere Bücher zum Themenkomplex „Transkulturelle Bewegungsforschung“. In dem nun besprochenen Buch geht es schwerpunktmäßig um sein Buch „Theoretische Grundlegung des Kampfsports aus der Sicht einer auf dem Zen-Buddhismus basierenden Bewegungs- und Trainingstheorie“. Gleichwohl habe ich Hinweise auf seine anderen Veröffentlichungen der thematischen Nähe wegen mit einfließen lassen. Es ist also eher eine „Autorenbewertung“ als eine reine Buchbeschreibung. Deswegen fällt der folgende Text auch etwas länger aus.

Tiwald beginnt sein Buch mit einem deutlichen Hinweis darauf, warum sich Budosportarten so sehr von anderen Sportarten wie Leichtathletik, Rudern oder Schwimmen unterscheiden. Letztere sind Sportarten, bei denen man es durch motorische Fertigkeiten (Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer etc.) in einer standardisierten Umgebung zu großem Erfolg bringen kann. Sie sind resultatorientiert. Der Verbesserung der Wahrnehmung kommt eine nicht so große Bedeutung zu, was einen großen Einfluss auf das Psychotraining hat. Der Autor geht ein auf die Kraft der (positiven) Aggression, die einen Menschen bei solchen Sportarten zu Höchstleitungen bringen kann. Ganz anders stellt sich die Situation bei komplexeren Sportarten wie Budo dar. Aggression würde hier nur stören.

Er bedauert, dass das Budotraining in der westlichen Welt trotzdem häufig auf motorische Fertigkeiten reduziert wird – wenn auch mit einigem Erfolg im Wettkampfsport. So kann ein Judoka seinen Kampf auch gewinnen, weil er seinem Gegner an diesen Fertigkeiten überlegen ist. Komplexe Bewegungsabläufe lassen sich durch Kraft oder Schnelligkeit ersetzen, die Verbesserung der Situationswahrnehmung wird vernachlässigt. Das mag genügen für einen kurzfristigen Erfolg, auf Dauer allerdings führt dieser Weg in eine Sackgasse, wie Tiwald anhand vieler Beispiele erläutert. Und er stellt der Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer Gelassenheit, Geduld und Beharrlichkeit gegenüber. Im japanischen Bogenschießen, ebenfalls einer DO-Kunst, geht es auch nicht um das Teffenlernen, sondern um das Schießenlernen. Wer nicht zielt, lernt treffen!

Im nächsten Kapitel beschreibt Tiwald sehr verständlich die Aspekte buddhistischer Psychologie, geht ein auf das Bild Buddhas in Europa und erklärt die fünf Stufen des ZEN. Wer Georg Schrotts Aikido-Buch Ohne Schwert und ohne Dogma (siehe Rezension Nummer zwei) gelesen hat, findet in diesem Kapitel hilfreiche Erläuterungen, was mit „Nicht-Ich“ oder „Nicht-Tun“ gemeint sein könnte.

Im Dritten Kapitel geht es um den Stellenwert der Aggression im Budo, die Formen der Aufmerksamkeit, die Bedeutung des Atmens, das Training der Geistesgegenwart und die Prinzipien der Gelassenheit. Dabei spricht Tiwald sich aus für eine „Humanisierung“ des Sports und einer Beseitigung der Aggressivität durch eine Übertragung der geistig-psychischen Grundlagen fernöstlicher Kampfkünste auf andere Sportarten und letztendlich auf den Alltag. Insbesondere die Prinzipien der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, die zur ganzheitlichen Wahrnehmung führen, lassen sich bei einem ernsthaften Üben nicht mehr vom Alltag trennen. Wie auch Deshimaru-Rosh in seinem Buch über „ZEN in den Kampfkünsten Japans“ (siehe Rezension Nummer Eins) kommt der richtigen Atmung eine große Bedeutung und ein eigenes Kapitel zu.

Lesenswert ist auf alle Fälle auch das Kapitel über Formen und Bewegungen. So mancher Judoka wird das Uchi-Komi dann vielleicht mit einer tieferen Bedeutung versehen und seine Übungsabsicht anpassen. So mancher Budoka wird seine immer wiederkehrenden Technik-Übungen nicht mehr als eine von der Form losgelöste Funktion interpretieren. Budo ist eben kein Geräteturnen, bei dem man es mit eifrigem Fertigkeitstraining weit bringt. Beim Budo ist eine „echte“ Wiederholung der Technik schlechterdings nicht möglich, jeder Angriff und jeder Uke sind anders, jede Übung ein „erstes Mal“. So muss das „Funktionieren“ gelernt werden, nicht die Form. Beim Geräteturnen zum Beispiel mögen sich Abläufe mental einprägen und zur rechten Zeit abrufen lassen, beim Budo ist dieses schwieriger. Man kann in den Kampfsituationen, und seien sie auch noch so gut aufeinander abgestimmt (wie bei einer Kata), keine geübten Antworten abrufen und darauf vertrauen, dass vom Gegner die richtigen Fragen kommen. Das Training der Gelassenheit, des Warten-Könnens (Nicht: Teilnahmslos!), der Geistesgegenwart kommt eine größere Bedeutung zu (sehr schön hier auch die Unterscheidung zwischen Geistesgegenwart und Reaktionsschnelligkeit). Man soll also beim Training „daher nicht tun was man denkt, sondern denken was man tut“. Hier wieder ein Bezug zu dem Buch von Georg Schrott (siehe oben), der ebenfalls das Nicht-Denken beschreibt, und meint, dass zwischen Denken und Tun „kein Blatt mehr passen soll“.

Das Buch schließt mit der Beschreibung der Unterschiede der Budo-Sportarten. Insbesondere geht Tiwald auf Judo ein, das häufig als olympische Disziplin und nicht als System trainiert wird. Jigoro Kano, der Begründer des Judo, hat dieses frühzeitig erkannt, seine Antworten können als Zitate nachgelesen werden.

Tiwalds Buch „Zen nicht-miss-verstehen“ ist dagegen weniger praxisorientiert, eher eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Buddhismus und dem ZEN. Dabei führt Tiwald den Leser mal hierin, mal dorthin, eine Aufsuchung gedanklicher Orte, die sicherlich zum Verweilen einladen. Über viele seiner Aussagen muss man nachdenken. Für das Lesen der 185 Seiten sollte man sich also Zeit lassen.

In dem Buch Die Leere und das Nichts- eine Philosophie der Bewegung oder über das Schmecken von Yin und Yang stellt der Autor von vornhinein klar, dass er kein Freund eines schlechten Umgangs mit der Sprache ist. Bereits im Vorwort unterscheidet er nicht nur aus semantischer Liebhaberei zwischen dem MÖGLICHEN und dem UN-MÖGLICHEM (… dass die Möglichkeit etwas unbestimmt Offenes ist, während die Un-Möglichkeit sich als etwas Sicheres und unerbittlich Notwendiges anbietet…). Begriffe wie „Da-Sein“ und „So-Sein“, die Wichtigkeit mit dem anderen „Eins zu werden“, ohne sich dabei zu verlieren – das sind die Inhalte der nächsten Kapitel. Ausführlich werden dann Ying und Yang beschrieben (…Weder das Yin noch das Yang hat aber selbst irgendein ‚Sosein’.

Erst zusammen ist es bloß das ‚Dasein’ eines ‚Unterschiedes’…). Sehr schön ist dabei die Beschreibung der Bewegungen im Taijiquan, der Tiwald dann ein eigenes Buch widmet. Das Buch über Ying und Yang endet mit eigenen philosophischen Ansätzen, (ähnlich seinem Buch über ZEN) und seinem Gedanken-Modell der „Biophotonen“.

Das Vierte hier beschriebene Buch Tiwalds Bewegen im TAIJIQUAN – Über Achtsamkeit und Kraft ist dann wieder eine eher budonahe Veröffentlichung. Sehr anschaulich und auch mit einer Anleitung für praktische Übungen wird jeder das Buch verschlingen, der auch Georg Schrotts Buch über Aikido (siehe oben) mochte. Ich fand es schwer, mir unter der Kraft des Nicht-Tun (bei Schrott: Wu-Wei im Kapitel Mu-I, ab Seite 269) wirklich etwas vorzustellen. Dabei ist es ausgerechnet das NICHT-TUN, was es ermöglicht, das für Budo so wichtige Denken und Handeln gleichzeitig passieren zu lassen (…dass kein Blatt Papier dazwischen passt…). Wem es ähnlich geht, dem empfehle ich Tiwalds Kapitel über „Pushing Hands“ im Tai Chi. Tiwald hat ein Buch über TAIJIQUAN geschrieben, doch die seelische Verwandtschaft zum Budo zieht den Leser in den Text hinein – und macht das Auftauchen schwer.

Empfehlung: Absolut lesenswert. In seinen Büchern griff Tiwald viel von dem auf, was in den anderen Rezensionen bereits beschrieben wurde. Einige seiner Veröffentlichungen sind allerdings nur für Philosophie-Liebhaber. Die Bücher Psycho-Training im Kampf- und Budo-Sport; Bewegen im TAIJIQUAN – Über Achtsamkeit und Kraft; Zen nicht-miss-verstehen; Die Leere und das Nichts- eine Philosophie der Bewegung oder über das Schmecken von Yin und Yang stellte der Autor auf seiner Homepage neben weiteren Schriften und Texten zum Download zur Verfügung: www.horst-tiwald.de.

Rezension Nummer Neun: A.B. Chang Ch’un-shen /Dann sind Himmel und Mensch in Einheit
Dieses Buch ist ein theologisches (der Untertitel lautet „Bausteine chinesischer Theologie“) und man darf sich zu Recht fragen, was es mit Budo zu tun und auf dieser Seite zu suchen hat. Doch eigentlich geht es nicht um das Buch und die Rezension behandelt auch nicht das gesamte 1984 erschienene Werk. Ich bin im Literaturverzeichnis des Buches „Zen in den Kampfkünsten Japans“ – siehe Rezension Nummer 1 – auf ein Kapitel des Buches gestoßen. Das Kapitel ist überschrieben mit „Der Heilige Geist in chinesischer Sicht“ und darunter steht: Ein Versuch, den Grundbegriff Ch’i auf einige theologische Fragen, vor allem im Zusammenhang mit dem Heiligen Geist, anzuwenden.

Ch’i oder japanisch: Ki – mein Interesse war geweckt.

Im Chinesischen wird das Wort Ch’i sehr häufig genutzt, es ist ein Grundwort, eine „Uridee im Umgang mit der Wirklichkeit in verschiedenen Dimensionen“. Das ist wichtig zu wissen, denn es gibt für diesen Begriff kein deutsches Äquivalent. Ein Phänomen, das jeder von uns kennt, der versucht hat, die Buchstaben „KI“ in Aikido zu erklären. Atem, Kraft, Energie, nichts passt so wirklich. Vielleicht hilft da die im Buch gegebene Erklärung von Professor Hsü Fu-kuan, der sagte: „ (…) Ch’i bedeutet nicht nur das Ein- und Ausatmen, sondern eine Einigungsfunktion für die gesamte körperliche Lebensexistenz des Menschen, oder eine aus dieser Einigungsfunktion entspringende Kraft (…)“.

Es ist eine von vielen.

Nach einer lehrreichen Einführung in Herkunft und Sinngehalt des Ch’i beschreibt der Autor die Wandlungsprozesse, die Ch’i im Laufe der chinesischen Philosophiegeschichte über Jahrtausende (!) erfahren hat. Die Kosmologie des Taoismus oder die Anthropologie des Konfuzianismus: Philosophisch oder theologisch hat sich jede Epoche am Ch’i abgearbeitet. Auch diese Darstellungen sind nicht nur historisch interessant. Der Autor führt zahlreiche Dialoge zwischen Meister und Schülern an, typisch für asiatische Lehrsätze. Dadurch liest sich das Buch trotz der schweren Kost leicht, was nicht heißt, dass man jeden Satz gleich beim ersten Lesen versteht; zumindest musste ich einige Abschnitte mehrmals lesen. Und einiges blieb mir wohl wegen meiner westlichen Gene und der europäischen Kultur für immer verschlossen. Es schadet nicht.

Die Überschrift des Kapitels deutete ja bereits einen Vergleich des Ch’i mit dem uns Europäern besser bekannten Heiligen Geist an. Das klingt ungewöhnlich, gewagt und unerwartet. Doch geschickt führt der Autor das Ch’i in chinesischer und den Heiligen Geist in biblischer Sicht zusammen. Wenn sich die chinesische Kosmologie charakterisieren lässt mit dem Satz „alle Dinge haben Leben“ und beseelt sind von einer Lebenskraft (Ch’i), dann ist der Sprung zu einem be-geisterten Kosmos des Christentums nicht mehr zu weit, um nicht mitgedacht werden zu können. Der Heilige Geist wird in der christlichen Theologie vor allem im Neuen Testament als die dritte Person der Heiligen Dreifaltigkeit beschrieben, doch etymologisch muss der Heilige Geist kein Subjekt außerhalb des Menschen sein (was die Mystiker schon früh erkannten). Im Alten Testament wird die Wirklichkeit des Geistes mit „nephes“ und „ruah“ umschrieben, im Neuen Testament mit den griechischen Begriffen „psyche“ und „pneuma“. Die chinesischen Übersetzungen in diesem Kontext lauten unter anderem „Geist“, „Seele“ oder „Kraft“, so lässt sich – ganz vorsichtig – ein innerer Zusammenhang herstellen. Ch’i und Geist haben also mit einem Atem, einer Kraft in den vielfältigen Dimensionen des Alls zu tun, bilden gleichsam eine geheimnisvolle Brücke zwischen Gott und den Menschen. Im Laufe der Geschichte hat sich der biblische Geist als etwas außerhalb des Menschen manifestiert, Ch’i ist ein Teil von allem geblieben. Der dritte Abschnitt dieses Kapitels stellt sich der Frage, ob die chinesische Lehre über das Ch’i einer theologischen Reflexion über den Heiligen Geist dienen kann. Mit spiritueller Tiefe gelingt es dem Autor, diese Frage zu bejahen.

Empfehlung: Ob man das ganze Buch lesen sollte kann ich nicht sagen, ich habe es nicht getan. Doch das rund 30 Seiten umfassende Kapitel über das Ch’i lohnt sich allemal. Es macht Mühe, doch die Mühe wird belohnt. Zahlreiche Sinn-Sätze geben Denkanstöße. Mein Lieblingssatz: Wo dein Wille hinzieht, dorthin folgt ihm auch das Ch’i. Deshalb festige deinen Willen und verwirre dein Ch’i nicht.

Rezension Nummer Zehn: Takuan Soho / Das Tor zu heiteren Gelassenheit
Deutsch von Guido Keller und Taro Yamada, 2006

Ein kleines, feines Büchlein liegt auf meinem Tisch. Es ist von dem Zen-Mönch, Kampfkünstler, Maler und Kalligrafen Takuan Soho. Er lebte von 1573 bis 1645, war ein Meister des Schwertkampfes und inspirierte durch seine zahlreichen Schriften viele große Schwertkämpfer nach ihm – bis heute.

Es hat nur 100 Seiten, doch kann man es nicht schnell lesen, nicht im Vorübergehen, es ist nichts für zwischendurch. Zu ernst gemeint sind Takuans zahlreiche Weisheiten. Sie sind nicht neu, doch ist der Zusammenhang interessant und der Brückenschlag buddhistischer Einsichten in den (Trainings-)Alltag augenöffnend.

Das Buch besteht aus fünf Teilen. Im ersten geht es um „wundersame Aufzeichnungen von der unbeweglichen Welt“. Ohne Umwege geht es schon gleich um den roten Faden, der das ganze Buch durchzieht: die Anhaftungen. Gemeint ist damit das Verweilen des Geistes. Bleibt der Geist an Dingen oder Gedanken hängen wird er abgelenkt und bleibt gefangen. Im Schwertkampf ist dieses besonders hinderlich und zur Zeit Takuans durchaus tödlich. Achtet der Kämpfer auf den Angreifer, sein Schwert, seinen Arm, seine Bewegung, wird der Geist daran haften bleiben und sich davon gefangen nehmen lassen. Löst sich der Geist allerdings von all diesen Dingen, ist er frei. Man kann schneller und quasi intuitiv auf seinen Gegner reagieren, seinen Geist mit diesem verbinden – eins werden mit ihm – beweglich bleiben.

Deutlich wird es bei dem Beispiel mit dem Baum: Achtet man auf ein einzelnes Blatt, erkennt man zwar die Schönheit der Strukturen, aber man verliert den Baum aus den Augen. Achtet man auf den Baum, offenbaren sich tausende Blätter. Im Buddhismus wird der verweilende Geist als mayoi bezeichnet, als Trugbild. Das gilt natürlich auch für Gedanken und Gefühle und spätestens hier werden Anspruch und Schwierigkeitsgrad deutlich.

Als Schwertkämpfer kennt man das. Jahrelang ist man damit ausgelastet, die Techniken zu beherrschen – der Geist haftet an den Übungen – bevor sich eine gewisse Gelassenheit (Nicht-Denken) einstellt, der Geist sich lösen kann, Körper und Geist eins werden. Nur dann ist Gleichzeitigkeit möglich, Aktion und Reaktion folgen unmittelbar und abstandslos.

„Doch wenn der Geist nirgends verharren soll, sich nicht auf Hand oder Schwert konzentrieren soll: wohin dann mit ihm?“ fragt ein Schüler. Takuans Antwort lautet: der Geist soll überall sein, alles erfüllen. Braucht man Hände oder Füße, wird der Geist sich schon rechtzeitig dort einstellen.

Der zweite Teil des Buches vertieft diese Gedanken. Es sind Aufzeichnungen zum Schwert Taia. Gemeint ist mit Taia das absichtslose, unbefangene Handeln. Das Schwert Taia wird unbesiegbar. Das Schöne daran ist: Taia ist in uns allen, es gehört allen, es verkörpert die wahre Natur,

Der dritte Teil sind Aufzeichnungen der Abendgespräche im Tokai-Tempel. Es geht um Taten in der einen und in der Traum-Welt, um Wege und immer wieder um Weisheit. Der Autor wagt in diesem Kapitel einen thematischen Rundumschlag. Er erläutert die Spontanität in der Buddha-Natur, erklärt, warum nichts wirklich vergeht, das Gute nicht ohne das Böse existiert, es keine Zufälle gibt und keine Kausalitäten. Alles hängt mit allem zusammen, beeinflusst sich gegenseitig. Das Prinzip wirklich in sich aufzunehmen ist nicht eben trivial in unserer linear-narrativen Welt.

Der vierte Teil ist mit dem Buchtitel überschrieben: Das Tor zu heiteren Gelassenheit. Es reiht sich nahtlos an die Erzählungen und Gedanken im Tokai-Tempel an. Takuan Soho betont noch einmal das Problem der „Anhaftungen“, der Geist, der dem Nicht-Geist gegenüber steht. Der Geist, der selbst aus dem Nichts erst das Nichts macht. Ist man vom Nicht-Geist erfüllt, was zur Buddha-Natur gehört, kann einem die Welt nichts mehr anhaben. Ein langer Weg.

Dem Abschluss des Buches sind bebilderte Übersichten der vier alten Kenjutsu-Schulen (Toyu-Ryu, Ryupi-Ryu, Unkwang-Ryu und Chun-Ryu) gewidmet, die auch in den einzelnen Abschnitten des Buches immer wieder auftauchen.

Empfehlung: Absolut lesenswert, nicht nur für Schwertkämpfer. Doch es ist kein einfaches Buch und nichts für Einsteiger. Mein Lieblingssatz daraus: „Der Weg dehnt sich auf alles aus“. Für weitere Betrachtungen empfiehlt sich vom gleichen Autor „Zen in der Kunst des kampflosen Kampfes“ , herausgegeben von William Scott Wilson, erschienen im Otto Wilhelm Barth Verlag.

Ergänzung im Dezember 2019: Beim zweiten Lesen (ja, auch das muss mal sein) entdeckte ich noch einen schönen Satz zu dem so wichtigen Thema Anhaftungen: „Ein Meister des Weges vollführt seine Kunst arglos ohne zu verweilen – und doch vollendet. Ein verweilender Geist jedoch erzeugt Anhaften und schließlich Seelenwanderung. Er schafft Bindung an Leben und Tod.“

Rezension Nummer Fünfzehn: Die Leichtigkeit des Zen
Auch dieses Buch von Adelheid Meutes-Wilsing und Judith Bossert ist keine Neuerscheinung, sondern schon im Jahr 2000 erschienen. Da es um Zen im Alltag geht, schadet das Alter jedoch nicht. Es ist schon erstaunlich, wie viele Bücher über Zen es gibt (allein Amazon listet unter dem Stichwort mehr als 10.000 Treffer auf – ok, beim Stichwort „Christentum“ sind es über 50.000), wo sich doch alle Autoren einig scheinen: Man kann Zen nicht beschreiben. Wieso denn darüber schreiben? Hat das etwas mit der Sinnsuche zu tun?

Die Antwort geben die beiden Autoren so treffsicher, dass ich sie hier zitiere:

„Wenn wir 0-10 Jahre sind wissen wir es noch genau: Wir essen, trinken, lachen, weinen, entdecken die ganze Welt, bauen im Sand eine Burg und zerstören sie, dann und wann schlafen wir.

Wenn wir 18 sind wissen wir es noch immer genau, sogar besser als alle anderen und fühlen uns erwachsen.

Wenn wir 30 sind wissen wir es nicht mehr so genau, aber wir haben genug studiert um so zu tun als ob.

Wenn wir 40 sind wissen wir es nicht mehr und denken, dass wir etwas falsch gemacht hätten (…).

Wenn wir 50 sind wissen wir, dass wir es wirklich gar nicht mehr wissen und suchen Erleuchtung und Erleichterung vom Nicht-Wissen. Dann fangen manche von uns an, Zen-Bücher zu lesen (…).“

Die beiden Autorinnen räumen dann auch gleich zu Beginn auf mit einer spirituellen Heilslehre und zeigen, was Zen ist: etwas ganz praktisches nämlich. Und etwas, was man nicht irgendwo draußen suchen muss, sondern bereits in jedem von uns schon schlummert und automatisch begegnet, wenn wir etwas achtsamer mit uns sind („Durch das Tor der Achtsamkeit treten“). Nicht immer drei Dinge auf einmal tun, nicht jetzt schon an gleich denken oder an vorhin, uns den Dingen widmen. Mit allen Sinnen. Achtsamkeit beim Hören, Riechen, Schmecken, Sehen, Fühlen und Denken. Doch bitte nicht alles auf einmal. Wenn wir riechen, riechen wir. Wenn wir essen, essen wir. Und wenn wir eine Suppe löffeln, können wir auch das mit allen Sinnen tun, ohne dass die Suppe kalt wird, denn „der lange Weg der Achtsamkeit dauert nur einen Augenblick“. Wenn wir also gehen, gehen wir. Punkt. Wir spüren die Erde unter unseren Füßen und Atmen ein- und aus. Was sich leicht anhört, hat es in sich. Denn wer von uns kann schon zehn Schritte gehen, ohne dass wir anfangen zu denken – unsere Gedanken: der reinste Affenzirkus. Und überhaupt das Atmen. Es soll bewusst sein und Bewusstsein schaffen. „Alles in dieser Welt atmet in der einen oder anderen Form“. Was bedeutet es, in Übereinstimmung mit dieser ganzen Welt zu atmen? Den einen, alles verbindenden Geist zu spüren, der sich „so einmalig und persönlich durch uns ausdrückt (…), Augenblick für Augenblick immer wieder neu und anders. Nichts wiederholt sich in irgendeiner Form ein zweites Mal.“

Was dann folgt sind Beispiele für Zen-Übungen – das bewusste Tun – im Alltag. Beim Frühstücken, Zähne putzen, Bus fahren, Einkaufen. Die Prinzipien – allen voran die Achtsamkeit (die auch mal mit Aufmerksamkeit verwechselt wird) und den Geist im Kleinen suchen- sind ja immer die gleichen und so wiederholen sich die Ratschläge, was das Lesen für ein paar Seiten müßig macht.

Am Ende (oder am Anfang, was macht den Unterschied?)sollten wir beseelt sein von Heiterer Gelassenheit. Ein Begriff, der auch bei Takuan Soho auftaucht, der bereits Mitte des 17. Jahrhunderts ein reichhaltiges Werk Buddhistischer Schriften hinterließ. Eine Gelassenheit die man erwirkt, wenn man akzeptiert. Akzeptiert, dass Ying und Yang in allem ihre Berechtigungen haben. Dass es Widersprüche gibt und mehr als nur eine Wahrheit. „Andere Überzeugungen sind unseren Ansichten ebenbürtig. Auf der Erde und im ganzen Universum haben alle Wesen ein Recht auf ihre Existenz und unsere Wertschätzung. Alle Menschen haben ihre Würde, und alle Wesen haben auch im Rahmen dieser Würde ein Recht auf Fehlbarkeit. Das Leben ist eine Übung (…).“

Ergänzend geben die beiden Autorinnen noch einige praktische Tipps zum richtigen Sitzen beim Meditieren (Nase über Nabel!) und ein paar buddhistischen Einordnungen und Lehrsätze.

Seid wach!

Mein Lieblingssatz: „Es gibt ja keine Faser in unserem Körper, in der sich nicht auch unser Geist befindet“.

Rezension Nummer Elf: Martin Gleiß, Budo als Erziehungs- und Bildungskonzept am Beispiel der japanischen Kampfkunst Aikido, Auflage 1, Logos Verlag Berlin
Nun also ein wissenschaftliches Buch zum Thema Aikido. Davon gibt es nicht sehr viele, was neugierig macht. Schon beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses wird der klare, gut strukturierte, wissenschaftliche Ansatz deutlich. Der Anspruch des Autors, Erziehungswissenschaftler und selbst Aikidoka, ist hoch. Es geht ihm um nicht weniger als einen alternativen Bildungsbegriff, in dem in der allgemeinen Erziehung die Körperlichkeit nicht weiter von der geistigen Weiterbildung getrennt wird.

Das Fazit vorab: Die Forschungsfrage „wie Budo-Disziplinen (hier: Aikido) subjektiv erlebt werden und ob sich biografische Auswirkungen feststellen lassen“ wird auf den folgenden Seiten klar beantwortet.

Im Einzelnen:

Die Unterschiede zwischen den Kampfsportarten und den Kampfkünsten werden im Kapitel zwei erläutert. Insbesondere die Wettkampffreiheit der Kampfkünste und der ganzheitliche Trainingsansatz in der Verbindung von Körper und Geist bieten nach den völlig ideologiefreien Aussagen des Autors besondere Chancen für die Bildungs- und Erziehungsarbeit. Interessant an dieser Stelle ist auch der Hinweis auf die Zusammensetzung des Wortes Budo in seinen japanischen Schriftzeichen. Nach Zitaten von Matthias von Saldern bedeutet Budo sinngemäß „Der Weg, den Kampf zu beenden“.

So scheint es kaum eine geeignetere Methode für einen alternativen Bildungsauftrag zu geben als Budo resp. Aikido, was der Autor auch in einem ganzheitlichen sozialpädagogischen Kontext beschreibt.

Im dritten Kapitel erläutert Martin Gleiß in wohltuender Tiefe die Geschichte und Philosophie des Aikido, um anschließend auf die besonderen Bewegungsmuster einzugehen. Letztere sind nicht trivial und schulen eben nicht nur die Körperlichkeit, sondern auch einen speziellen und kaum mit Worten beschreibbaren Wahrnehmungsprozess. Doch ist dieser Ansatz nicht neu, Budo implizierte schon immer eben dieses Erziehungs- und sogleich Bildungskonzept. Inwiefern auch andere Sportarten das leisten können, wird an dieser Stelle nicht beantwortet und muss es wohl auch nicht. Werte wie Teamgeist, Verantwortung oder Disziplin werden jedenfalls auch beim Hand- oder Fußball vermittelt.

Kapitel vier beschreibt die Relevanz der Motologie und der Psychomotorik, um dann auf die schon vor einiger Zeit veröffentlichte sogenannte „Budopädagogik“ überzuleiten, die vom Erziehungswissenschaftler Jörg-Michael Wolters als Therapieansatz für genau definierte Zielgruppen entwickelt wurde und für einen verallgemeinernden Ansatz nur bedingt übernommen werden kann.

Was dann folgt ist harte Arbeit. Der Autor stellt in Kapitel fünf sehr detailliert das Prinzip und das Vorgehen in der Qualitativen Forschung dar. Waren die bisherigen Kapitel von einem gewissen Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die Forschungsfrage geprägt, folgen nun auf rund 40 Seiten Zitate und Verweise zu den Grundlagen und Rahmenbedingungen Qualitativer Untersuchungsmethoden. In einer Dissertation werden die Korrektoren und wohl auch die Prüfer das sicher erwarten, in einer Veröffentlichung für eine breite Leserschaft ist das Kapitel zu lang und langatmig. Wenn ein Kapitel fast 15 Prozent einer Publikation und den Umfang der ersten beiden Kapitel in Summe ausmacht, muss es schon sehr gewichtig sein und dem Erkenntnisgewinn in hohem Maße dienlich. Das ist hier nicht der Fall. Jeder*, der einmal einen akademischen Abschluss errungen hat, wird sich ohne Wehmut an Mayring etc. erinnern. Hätte der Autor dieses Kapitel auf zwei Seiten gekürzt und gänzlich auf Zitate und Verweise verzichtet – es wäre ein echter Gewinn – und der Lesefluss ungebrochen.

Der Autor hat er sich zur qualitativen Untersuchung Leitfadeninterviews bedient. Wie er selber richtigerweise anmerkt, braucht es zur Beantwortung der Forschungsfrage „eine hohe Fähigkeit zur Selbstreflexion durch die befragten Personen“. Folglich sei diese Untersuchungsmethode für Kinder ungeeignet. Da der Titel des Buches thematisch Erziehungs- und Bildungsansätze verspricht, fallen einem – zu mindestens der Rezensentin – aber als erstes ebendiese ein. So war es unerwartet, dass es in diesem Buch nur am Rande um Kinder geht. Hilfreich wäre ein Hinweis auf die Adressaten oder das Erkenntnissubjekt des Buches im Untertitel. Vielleicht wäre für die Zielgruppe „Kinder und Jugendliche“ dann eine andere Untersuchungsmethode besser geeignet, um die Forschungsfrage beantworten zu können. Um bei den Leitfadeninterviews zu bleiben, hätten diese dann nicht nur mit Trainern, sondern auch mit den Eltern trainierender Kinder geführt werden müssen. Doch sind aus eigener Erfahrung auch Kinder oder Jugendliche schon recht früh zu einer ehrlichen Selbstreflexion fähig. Vielleicht hätte der Autor es darauf anlegen sollen.

Die Interviews wurden also mit fünf erwachsenen Experten* geführt, die allesamt hohe Danträger* und erfahrene Lehrer* sind. Die Aussagen wurden in vielen wörtlichen Zitaten wiedergegeben. Und sodann gilt die gleiche Anmerkung wie oben: Für eine wissenschaftliche Arbeit mit der Zielgruppe Prüfer ist dieses sicherlich erforderlich, doch in einer Publikation für eine interessierte Öffentlichkeit ist es in hohem Maße störend, da es den Lesefluss bricht. Der Leser* wird durch die inhomogene Diktion mehrmals pro Seite quasi „aus der Bahn geworfen“. Auch an dieser Stelle hätten die umfangreichen und auf den Punkt gebrachten Zusammenfassungen des Autors vollends genügt. Für Leser*, die Interesse an den wörtlichen Aussagen der Experten* haben, bietet der Autor am Ende des Buches ohnehin einen Download-Link an.

Der Autor hat in sachverständiger Fleißarbeit und mit kluger Abwägung alle Antworten der Interviewpartner* kategorisiert. Kinder und Jugendliche als Zielgruppe bilden eine eigene Kategorie mit in mancher Hinsicht unerwarteten Unterkategorien, wie beispielhaft die Relevanz der Finanzen. So bieten die Befragten zum Teil ein Kindertraining nur an, um ihr Dojo zu refinanzieren. Überrascht hat ebenfalls, dass nach Meinung der meisten befragten Experten* Aikido für Kinder offensichtlich ungeeignet ist. Das ist insofern schade, da die im Buch mit Hingabe ausführlich dargestellten im Budo implizierten wertevermittelnden Bildungs- und Lernprozesse mit ihren fließenden Übergängen offensichtlich instruktiv für untere Altersstufen sind. Dass Budo genuin – und das Training entsprechend – einen starken Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung hat, wurde von allen Befragten in unterschiedlichsten Kontexten bejaht. Dieser Prozess kann – sollte man denken – kaum früh genug beginnen, um sich wirksam entfalten zu können. Und er sollte nicht unsystematisch oder zufällig geschehen.

So wird zwar die Forschungsfrage klar beantwortet, einzig das Wort Konzept im Buchtitel und den Kapitelüberschriften irritiert. Denn ein Konzept ist es gerade nicht, was der Autor bietet. Ein Bildungskonzept sollte zumindest eine klare Zielvorstellung, eine definierte Zielgruppe, geeignete didaktische Ansätze, eine finanzielle und persönliche Ressourcenplanung und Evaluationsindikatoren beinhalten. Strukturell werden diese Inhalte nicht aufgegriffen.

Im Ergebnis diagnostiziert der Autor durch das Aikidotraining weitgehend bemerkbare positive Effekte und „Wirkungen im Kontext des alltäglichen Lebens und der Persönlichkeitsentwicklung“. Genau hier könnte ein Konzept ansetzen.

Rezension Nummer Zwölf: Budo2Business
Es waren gleich zwei Gründe, die neugierig machten auf das Buch von Alexander Plaschko und Norbert Haimberger. Erst mal der Titel: Budo im Business und ein 45 Grad-Kotau auf dem Buchdeckel. Und dann das: Perfektion in der Unternehmensführung in nur zwei Pfaden. Wie soll das gehen?

Das Ergebnis vorab: Die beiden Pfade, um die es geht, werden in ihrer notwendigen Detailtiefe nicht behandelt. Dafür ist es auch nur ein „Kurzbuch“. Eine Kurzanleitung sozusagen, die neugierig machen soll auf das, was in persönlichen Trainings vertieft werden muss: Die Anwendung von Prinzipien, die in der japanischen Kampfkunst Tradition sind, auf den beruflichen Alltag. Einer der Autoren, Alexander Plaschko, übt sich darin bereits seit mehreren Jahren. Ein erfolgreicher Judoka damals – ein erfolgreicher Manager heute. Der rote Faden ist da.

Worum geht es nun bei Budo2Business? (Eigentlich müsste es wohl richtiger Budo in Business heißen, doch die zwei in Ziffern spiegelt gut die beiden Pfade wieder).

Es geht um nichts Geringeres als um Perfektion. Ein großes Wort. Wikipedia sagt dazu: „Perfektion (von lateinisch perfectio) steht für Vollkommenheit / Unfehlbarkeit“. Genau das ist aber auch offensichtlich gemeint. Stellt der Autor nun einen wirklich erfolgreichen Ansatz für eine „perfekte“ Unternehmensführung vor oder reiht sich sein Instrumentenkasten ein in die lange Schlange der heilsversprechenden Managerliteratur?

Der erste Blick sagt Letzteres, geht es doch um die Harmonisierung betrieblicher Gegensätze, die in Form einer Egalisierung von betrieblichen Bedarfen und individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten häufig literarisch behandelt wurden. Doch der zweite Blick korrigiert. Schließlich sind wir bei Budo. Plaschko geht es um eine Unternehmensführung, die zum Beispiel Prinzipien wie „Wettbewerb und Kooperation“, „Vertrauen und Kontrolle“ oder „Fokus und Vergessen“ zulässt, fördert und solange lebt, bis diese Gegensätze miteinander verschmelzen. Anhand einiger Beispiele werden diese Prinzipien zwar näher erläutert, doch erkennt wahrscheinlich nur ein Budoka die Tiefe, die sich dahinter verbirgt. Zum Beispiel wenn Plaschko davon spricht, den Fokus auf das Ziel zu legen und sogleich wieder zu Vergessen. Oder wenn es darum geht, den Mitarbeitern Respekt, Anerkennung und Wertschätzung zu zollen, unabhängig von deren Leistung. Unsere Geschäftswelt ist eigentlich streng utilitaristisch, da kommen diese Substantive, die auf der Tatami üblich sind, eher zu kurz. Jenes meint der Autor jedoch mit dem Kooperationsprinzip. „Erst eine Anerkennung und Wertschätzung der Menschen unabhängig von deren Leistung und die Einhaltung ethischer Grundwerte heben das volle Potenzial des [gegensätzlichen] Wettbewerbsprinzips. Der wichtigste Leitsatz dieser Methode ist daher: Die Härte des Wettbewerbes braucht die Wärme der Menschlichkeit“.

Der erste Pfad, auf den man sich begeben muss, lautet also Harmonisierung von Wettbewerb und Kooperation. Überschrieben ist er mit „Stärke schaffen“. Um „Schwächen vermeiden“ geht es im zweiten Lernpfad. Und dieses erfolgt dann durch eine Harmonisierung weiterer betrieblicher Gegensätze wie der oben beschriebene Fokus auf das Ziel, das man nur erreicht, wenn man es gleich wieder vergisst. Wie beim Bogenschießen. Oder der Gegensatz von Vertrauen und Kontrolle. In vielen Unternehmen überwiegt der Kontrollmechanismus. So bleibt die Kreativität auf der Strecke und Mitarbeiter werden zu dem Satz erzogen, dem jede Führungskraft Gänsehaut bescheren müsste: „ich werde hier nicht fürs Denken bezahlt“.

Plaschko macht deutlich, dass die Anwendung seiner erläuterten Prinzipien unbedingt strategisch erfolgen muss. Budo im Business ist kein Projekt mit einem definierten Anfang und einem präzisen Ende, sondern eine unternehmerische Grundsatzentscheidung. Das gilt natürlich für jedes Managementprinzip: Am Anfang steht eine Strategie, zu der ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess gehört (Pan-Do-Ceck-Act).

Fazit: Grundsätzlich sind Gegensätze in Unternehmen ja etwas Gutes. Eine gesunde Mischung aus Frauen und Männern, Alten und Junge, viele Nationalitäten etc. bringen einer Organisation bei kluger Assimilierung oder Inklusion nachweislich mehr Erfolg. Es müssen also nicht alle Gegensätze überwunden oder harmonisiert werden. Doch eine Harmonisierung der im Buch erwähnten Gegensätze ist sicherlich erfolgsversprechend. Was für meinen Geschmack etwas zu kurz kommt in diesem Kurzbuch ist die Bedeutung des Budo im beruflichen Ausleben der Gegensätze. So gibt es auch in anderen Sportarten ein Wettbewerbs- und ein Kooperationsprinzip. Doch was genau sind die tieferen philosophischen oder auch spirituellen Besonderheiten des Budo, die sich auf das Berufsleben anwenden lassen? Diese Frage kann jeder Leser wohl erst nach dem Absolvieren des persönlichen Trainings für sich beantworten. Und dann verschmilzt auch der letzte intrinsische Gegensatz: der zwischen Tatami und Beruf.

Zielgruppe: Damit ein geneigter Leser sofort erkennen kann, ob dieses Kurzbuch etwas für ihn ist: Es ist geschrieben für Führungskräfte mit Budo-Erfahrung. Und man müsste nicht nur das Buch lesen, sondern auch das persönliche Coaching hierzu in Anspruch nehmen, wenn man der Perfektion in der Unternehmensführung ein Stückchen näher kommen will.

Rezension Nummer Dreizehn: Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten
Heute geht es um einen Klassiker in einer Auflage, die zehn Jahre nach der ersten deutschen Ausgabe 1978 erschien. Somit dürften viele Leser dieser Rezension das Buch bereits kennen. Doch der alten Regel folgend, das zwar nur ein Autor sein Buch schreibt, jeder Leser jedoch sein eigenes Buch liest, darf auch jeder seinen eigenen „Versuch über Werte“ – so der Untertitel – wagen.

Meine erste Begegnung mit dem Buch war auf dem Bücherflohmarkt, auf dem ich zufällig eine völlig vergriffene Version in den Händen hielt und über das „und“ im Titel stolperte.

Von meiner zweiten Begegnung handelt die folgende Rezension:

Der Autor, Robert M. Pirsig, war zweifelsohne eine schwierige, komplexe Persönlichkeit und sein autobiografisches Buch vielleicht eine Art Therapie. Schließlich lässt er sein Alter Ego zu Wort kommen, ein Gespenst, wie er sagt. Passenderweise heißt sein Gespenst Phaidros, wie der Dialog Platons mit seinem Freund. Im Laufe der Geschichte lässt er Phaidros irgendwann hinter sich und übernimmt das Steuer. Am Motorrad und im Leben.

Das wusste ich zu Beginn nicht. Nach dem Lesen der ersten Seiten hätte es auch ein Reisebericht werden können. Oder eine Geschichte über eine knifflige Vater-Sohn-Beziehung. Oder einfach das Buch eines Motorrad-Freaks. Dabei ist es ein bisschen von allem. Und es ist ein Buch über Zen. Im Weitesten Sinn vielleicht – aber doch mit Tiefe. Damit fangen wir an:

Robert Pirsig, der das Buch in Ich-Form schrieb, fährt mit seinem Sohn und anfangs mit noch einem befreundeten Paar auf dem Motorrad quer durch das Amerika der späten 60er. Er erzählt von Landschaft und Leuten, von den Unbillen des Wetters, Hitze und Kälte und den Dialogen mit seinem Sohn. Das ist der Reisebericht.

Robert Pirsig erzählt auch von seiner ständigen Sorge um das Motorrad und beschreibt, was bei einem Motorrad alles schief gehen kann, worauf man wann achten muss und woran man einen richtig guten Mechaniker erkennt. Das ist der Motorrad-Freak.

Und dann ist da noch Phaidros, der zwar irgendwie nicht mitfährt, aber immer dabei ist. Es geht auch um seine Geschichte. Dem Studenten, seinem Lehrauftrag, seinen unkonventionellen Unterrichtsmethoden, mit denen er überall aneckt und die sicherlich dazu beitragen, dass Phaidros flieht. Auf der Flucht ist vor Rätseln und dem Kant’schen a priori. Auf der Suche nach Qualität in einem metaphysischen Sinn. Mit aristotelischer Induktion nähert Phaidros sich schließlich dem Gedanken des Zen, ohne es wirklich auszusprechen. Doch wenn er die Verschmelzung von Subjekt und Objekt beschreibt, die Schranken einreißt, die den Menschen in einem dualistischen Weltbild zum Beobachter eines Objektes degradieren, und so dann Qualität definiert – dann ist das dem Zen schon sehr nah. Und der Quantenmechanik.

Und wenn dann Robert Pirsig, der Motorrad-Freak und Autor technischer Handbücher, eine Bedienungsanleitung als vorbildlich zitiert mit den Worten „die Montage japanischer Fahrräder erfordert großen Seelenfrieden“ schließt sich der Kreis. Da möchten beide schließlich hin: Pirsig und Phaidros. Wollen wir uns einer Idee, einem Menschen, einem Ding oder Un-Ding widmen, können wir nur Qualität in einem philosophischen Verständnis erreichen (oder Seelenfrieden), wenn wir mit ihr oder ihm verschmelzen, eins werden, respektvoll verstehen wollen. Das ist etwas mehr als nur sich einer Sache mit Aufmerksamkeit widmen. Oder Achtsam sein. Das erfordert Enthusiasmus im religiös-etymologischen Sinn.

Das Buch ist seitenweise schwierig. Immer dann, wenn sich Phaidros` Gedanken wie auf einem Möbiusband wälzen, möchte man das Buch gern weglegen. Es schadet aber auch nicht, sich beim Lesen Zeit zu lassen. So bleibt genug Raum für die eigene Reflexion. Es schadet auch nicht, sich erst die Lebensgeschichte des Autors vorzunehmen oder das Nachwort zuerst zu lesen. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse hat man mit dem Buch mehr Freude. Und die wünsche ich allen Lesern.

Einer meiner Lieblingssätze: Wahrheit ist eine Funktion der Zeit.

Rezension Nummer Vierzehn: Die 7 Wege des Samurai

Für Bibliophile ist das kleine Büchlein aus der Reihe „Little Black Books“ von Wiley-VCH genau das Richtige. Autor André Dayû Steiner beschreibt in seinem Buch über die ethischen Grundwerte der Samurai – die titelgebenden sieben Wege – mit welcher Aktualität jahrtausendalte fernöstliche Weisheiten den Weg in deutsche Chef- und Führungsetagen finden sollten. Der Konjunktiv ist Absicht. Zwar sind viele der aufgezeigten Wege – basierend auf dem Fundament über 400 Jahre alter ethischer Grundwerte – einfach und hinreichend bekannt, finden aber kurioserweise nicht den Weg in den Alltag.

Die sieben Wege, denen sich Steiner im Einzelnen auf den folgenden Seiten widmet, hat bereits Zen-Meister Hagakure den Samurai empfohlen:

  1. Der Geist des Hier und Jetzt (Zen-Geist). Hierzu gehören zum Beispiel Achtsamkeit, Anfängergeist und WuWei
  2. Der Geist der Furchtlosigkeit
  3. Der Geist der Gelassenheit
  4. Der Kriegergeist
  5. Der Geist der Loyalität
  6. Der Geist des Ki (Hara)
  7. Der Geist der Weisheit und Intuition . Gemeint sind hier vor allem Mitgefühl, Höflichkeit, Ehrlichkeit und Bescheidenheit.

Zu allen „Wegen“ kennt Steiner ein Gleichnis aus der Zeit der Samurai – sie begleiten jedes Kapitel. Es folgt eine Deutung Steiners mit einer Anleitung, wie die Appelle der Gleichnisse in den heutigen Alltag übersetzt werden können, ergänzt von Übungen für zu Hause. Man merkt deutlich, dass der Autor Management und Mental Trainer ist, ein Zen-Lehrer mit Budo-Erfahrung und universitärem Lehrauftrag, der regelmäßig Seminare gibt.

Es ist sicherlich ein hilfreiches und feines Buch für Leser, die sich noch nicht (sehr lange) intensiv mit Zen auseinandergesetzt haben. Die neugierig sind auf Prinzipien, die Jahrhunderte und Kulturen überlebt haben. Zum Beispiel dem Zulassen der Intuition, indem uns Informationen aus unserem individuellen oder kollektiven Unterbewusstsein bewusst werden. Oder die Tatsache, dass wir uns ständig mit „tausendundeins“ Dingen beschäftigen, nur nicht mit uns selbst. Und letzteres ist schließlich der Kern des Zen. Doch Steiner ist kein Heilsbringer. Er macht deutlich, dass Zen Erfahrung ist, man den Zen-Geist nicht im intellektuellen Sinne verstehen kann und zitiert einen Zen-Meister mit den Worten: „Der Zen-Weg ist ein Weg ohne Worte und ohne Schweigen. Kein Wort, kein Gedanke, keine Vorstellung trifft die Wirklichkeit. Die einzige Antwort ist donnerndes Schweigen“.

Einer meiner Lieblingssätze: Anderen eine Chance sein.